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'Wir möchten sofort handeln'

schaffhauser az, 09.05.2013 von Interview Bernhard Ott

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Finanzdirektorin Rosmarie Widmer Gysel über Defizite, Steuern und weitere Sparmassnahmen

az Rosmarie Widmer Gysel, den Schaffhauer Kantonsfinanzen geht es schlecht. Trotz aller Sparübungen droht dem Kanton im nächsten Jahr ein Riesendefizit von 40 Millionen Franken. Nachdem sich die Regierung lange gegen Steuererhöhungen gesträubt hat, will sie nun doch schon 2014 die Steuern anheben. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?
Rosmarie Widmer Gysel Darf ich Sie korrigieren: Eigentlich stehen wir vor einem Defizit von 55 Millionen Franken. Einiges wird man noch verbessern können, aber es bleibt auf jeden Fall ein strukturelles Defizit von 40 Millionen Franken übrig, das nicht allein mit Sparmassnahmen eliminiert werden kann. Die Regierung möchte darum sofort handeln und beantragt dem Kantonsrat, mit dem Budget 2014 eine Steuerfusserhöhung von 6 Prozent zu bewilligen.

Steuererhöhungen waren aber bisher für die Regierung immer tabu. Wie begründen Sie den Kurswechsel?
Wir haben unsere Ausgaben in einem ersten Schritt mit ESH3 um 20 Millionen Franken reduziert und wollen nun mit einer grundsätzlichen Überprüfungen aller staatlichen Leistungen durch eine externe Fachstelle weitere 20 Millionen Franken einsparen. In einem dritten Schritt halten wir die Erhöhung der Steuern für gerechtfertigt, weil die Umsetzung zusätzlicher Sparmassnahmen Zeit braucht und wir nicht riskieren wollen, dass wir das ganze Eigenkapital wegen unserer Defizite aufbrauchen, ab 2016 einen Bilanzfehlbetrag ausweisen und uns mit Fremdkapital verschulden müssen.

Kommt die Erhöhung der Steuern nicht zu spät? Wenn man sie schon 2012 oder 2013 angehoben hätte, wäre das Loch heute kleiner.
Nein, denn erst die Rechnung 2012 hat gezeigt, dass verschiedene Kostenblöcke, auf die wir keinen Einfluss haben, überproportional gestiegen sind und darum jetzt eine Steuererhöhung unumgänglich wird.

Trotzdem dürften sich jene Kritiker bestätigt fühlen, die immer davor gewarnt haben, die Steuern so massiv zu senken, wie das zwischen 2001 und 2010 geschehen ist. Nun fehlen dem Kanton jährlich 75 Millionen Franken. Würden Sie mit dem Wissen von heute immer noch so grosszügige Steuergeschenke machen wie in den Jahren vor 2010?
Ich würde nichts anders machen, denn die Steuerfusssenkungen wurden in jenen Jahren gewährt, in denen wir hohe Einnahmen erzielten. Dass man damals dem Steuerzahler etwas zurückgeben wollte, war absolut gerechtfertigt. Leider ist man sich in solch komfortablen Momenten meist zu wenig bewusst, dass es auch wieder einmal anders sein kann und man dann den Steuerzahler, wenn es nicht mehr so gut geht, um seine Unterstützung bitten muss.

Im Visier der Regierung ist unter anderem die Motorfahrzeugsteuer, die seit 1968 nicht mehr erhöht werden konnte, weil das Volk immer Nein sagte. Glauben Sie allen Ernstes, dass Sie diesmal mehr Glück haben werden?
Die Anhebung der Motorfahrzeugsteuer ist eine von vielen zusätzlichen steuerlichen Massnahmen, die im Zusammenhang mit dem Auftrag an die externen Fachleute geprüft und politisch breit diskutiert werden soll. In dieser Debatte muss man sich allerdings auch darüber unterhalten, für welche Ausgaben der Ertrag der Motorfahrzeugsteuer verwendet wird. So müssten künftig die Abschreibungen der Investitionen in den Strassenbau mit dieser Steuer finanziert werden. Das ist bisher nicht der Fall.

Die Regierung will einmal mehr bei den Ausgaben das Messer ansetzen. Ihr Antrag an den Kantonsrat: Eine externe Firma soll mit dem kühlen, unbeteiligten Blick von aussen alle staatlichen Leistungen unter die Lupe nehmen und dann Vorschläge machen, wo was abgezwackt werden könnte.
Entscheidend ist nicht nur der kühle, sondern der objektive Blick von aussen, und nicht zuletzt auch der interkantonale Vergleich, also die Analyse und das Benchmarking. Wenn es allerdings um die Entscheidungen geht, wo dann effektiv bei unseren Ausgaben zu kürzen ist, sind Regierung und Kantonsrat gefordert.

Erwartet die Regierung, dass die Ideen dieser auswärtigen Experten auf mehr Gegenliebe stossen werden als das selbstgestrickte Sparprogramm ESH3?
Wir hoffen, dass eine sachlichere Diskussion möglich wird und dass wir von einer reinen Besitzstandverteidigung zu einer objektiveren Sichtweise kommen können.

Welche Erfahrungen machte man in den Kantonen, die bereits ähnliche Prozesse durchlaufen und ebenfalls externe Experten zu Hilfe geholt haben?
Ich kenne das Beispiel des Kantons Bern, der ein grosses Paket lanciert hat und vier Prozent seiner Gesamtausgaben einsparen möchte. Er hat ebenfalls mit den von uns favorisierten Experten von BAK Basel eine Auslegeordnung und Analyse der heutigen Ausgabenstruktur vorgenommen. Gegenwärtig läuft nun die Diskussion, wie die Erkenntnisse umgesetzt werden können.

In den Vorschlägen der Regierung sind einige reichlich kryptische Formulierungen enthalten. Sie möchte 'Ertragssteigerungen aus kantonalen Beteiligungen (SHKB, EKS)' erzielen und mit 'Devestitionen' künftige Investitionen finanzieren. Was heisst das genau? Sollen Kantonalbank und EKS mehr Geld abliefern?
Wir sind uns bewusst, dass sowohl die Kantonalbank wie auch das EKS Wirtschaftsbetriebe sind, die eine nachhaltige Geschäftspolitik betreiben müssen. Trotzdem soll im Rahmen der Überprüfung unserer finanziellen Situation auch diskutiert werden, ob höhere Ablieferungen möglich sind. Was das Thema Investitionen betrifft, darf es ebenfalls keine Tabus geben. So wird man sich beispielsweise bei der Diskussion über das neue Sicherheitszentrum überlegen müssen, welchen Ertrag man im Gegenzug durch einen Verkauf oder eine neue Nutzung des ganzen Klosterhofareals erwirtschaften könnte, in dem sich heute die Polizei und das Gefängnis befinden.

Eine weitere grosse Investition neben dem Sicherheitszentrum ist der Neubau des Kantonsspitals, der über 200 Millionen Franken kosten soll. Ein Lösungsansatz, der gegenwärtig im Gespräch ist, sieht die Abtretung der Gebäude an die Spitäler Schaffhausen vor. Der Kanton wäre dann nicht mehr der Eigentümer. Was wäre damit gewonnen?
Wenn das Kantonsspital die Liegenschaft besitzt, die wir ihm wahrscheinlich im Baurecht übergeben würden, erstellt es den Neubau in eigener Regie und müsste sich auch selbst um die Finanzierung kümmern und nicht mehr der Kanton. Dafür hätte der Kanton aber im Gegenzug keine Mieteinnahmen mehr. Diese Lösung ist trotzdem ein interessanter Ansatz, weil sie mehr Transparenz schafft.

Sie haben von der Option des Verkaufs des Klosterareals gesprochen. Könnte nicht auch der Verkauf oder eine Privatisierung der Kantonalbank zum Thema werden? Der Kanton würde bestimmt eine grosse Summe lösen, allerdings wäre das ein einmaliger Ertrag, weil dann künftig die jährlichen Ablieferungen wegfallen würden.
Genau, das ist der springende Punkt. Die Regierung und der Bankrat haben die Diskussion über einen Verkauf oder eine Privatisierung vor zehn Jahren schon einmal intensiv geführt. Wir kamen damals gemeinsam zum klaren Entscheid: Nein, das machen wir nicht, aber es gibt keinen Grund, warum man diese Idee nach zehn Jahren nicht wieder aufgreifen soll.

Drängt es sich angesichts der misslichen Situation, in der sich der Kanton befindet, nicht langsam auf, auch einmal über Grundsätzliches zu diskutieren, nämlich über die Frage, ob ein selbstständiger Kanton Schaffhausen überhaupt noch finanzierbar ist oder ob es besser wäre, mit einem anderen Kanton zu fusionieren, sei das nun der Kanton Thurgau oder der Kanton Zürich?
Ich stelle mir tatsächlich immer wieder die Frage, wie sinnvoll der Schweizer Föderalismus mit seinen 26 Kantonen noch ist, wenn man bedenkt, wie viele vom Bund vorgegebene Aufgaben in allen Kantonen gleich vollzogen und finanziert werden müssen. Die Fixkosten sind, ungeachtet der Einwohnerzahl, überall gleich hoch. In diesem Bereich ist der Föderalismus also zweitrangig, wichtig bleibt er aber dort, wo wir wirklich eine Entscheidungskompetenz haben. Trotzdem werden wir uns angesichts der Defizite, unter denen alle Kantone leiden, bald einmal fragen müssen: Schweiz, wie sollen wir uns künftig organisieren, damit wir weiterhin erfolgreich sein können?