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Weltbuchtag als schillernder Festtag des Lesens
Schaffhauser Nachrichten, 25.04.2005 von Alfred Wüger
Politiker lasen am Weltbuchtag in der Agnesenschütte, «Politik und Buch» lautete das Thema in der Eisenbibliothek.
Der Weltbuchtag am 23. April ist der Todestag von Cervantes und Shakespeare und seit 1995 Unesco-Weltbuchtag. 2004 wurde die Buchlobby Schweiz gegründet von den Verbänden der Autoren, Buchhandlungen und Bibliotheken aus allen Landesteilen. Dies sagte Claudia Clavadetscher in der Einleitung zur Lesung in der Agnesenschütte am Samstagmorgen mit Theres Sorg, Gemeinderätin aus Thayngen, Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel, Nationalrat und SP-Parteipräsident Hans-Jürg Fehr sowie Stadtrat im Halbamt Urs Hunziker.
Die Politiker und das Lesen
Theres Sorg las einen Abschnitt aus «Muttertage» von Stössinger/Leuthold/Mattmann als Reminiszenz an ihr eigenes Mutterwerden. Rosmarie Widmer Gysel bekannte sich als Fan von Robert Walser. Ihr Grossvater war Appenzeller und liegt auf demselben Friedhof wie Walser in Herisau. Dann gab sie eine Kostprobe aus Albert Bächtolds «Hannilipeter»: Wilchinger Mundart mit Hallauer Akzent! Sie brachte die kurze Passage derart lebendig, dass man Widmers kleinen Enkel um seine Grossmutter, die so vorlesen kann, nur beneiden kann.
Hans-Jürg Fehr bot einen leidenschaftlichen Tour d`Horizon seiner Leseerfahrungen. Jakob Bührers - «Ein Webergässler!» - mehrbändige Schweizer Geschichte in Romanform, «Im roten Feld», begeistert den nunmehrigen Primus inter Pares der Sozialdemokraten ebenso wie eine Familiensaga des ägyptischen Nobelpreisträgers Nagib Machfus. Ein feuriger Appell, Max Frischs «Der Mensch erscheint im Holozän» zu lesen - «Ich merkte erst zehn Jahre nach dessen Erscheinen, was das für ein grosses Buch ist» -, beschloss seine Ausführungen. Den Abschluss machte Urs Hunziker, dessen Vorliebe für Adalbert Stifters «Hochwald» Stadtbibliothekar René Specht sichtlich verblüffte und amüsierte. Urs Hunziker gab eine Glosse von Bastian Sick aus «Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod» zum Besten, worin der Autor die «Verluderung der deutschen Sprache» geisselt. Hunzikers Vortrag von unterkühltem Humor brachte das Publikum mehrfach zum Lachen.
Die Bücher, welche die Politiker in der Jugend verschlangen - «Die rote Zora», «Pünktchen und Anton», «Mein Name ist Eugen» -, sind nach wie vor absolute Renner. Allen Politikern ist heute gemeinsam, dass das Studium der Dossiers die Literatur in die Ferien verbannt. Ausnahme Rosmarie Widmer: Sie holt zwischendurch immer wieder einen Walser aus der Handtasche. «Zom de Chopf lääre.»
Führung in der Eisenbibliothek
Irene Pill, seit drei Jahren Leiterin der Eisenbibliothek im Klostergut Paradies, führte am Samstag durch die kunstgeschichtlich interessanten Räume - «unverändert seit den Fünfzigerjahren, mittlerweile etwas Seltenes» - mit den insgesamt 40 000 Büchern zu den Themen Eisen, Eisenverarbeitung und verwandten Gebieten.
1948 wurde von der Firma Georg Fischer die Stiftung Eisenbibliothek gegründet, 1952 besass man bereits 10 000 Bände. «Man wollte mit der Bibliothek etwas für den kulturellen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg tun.» Das älteste Werk der weltweit einzigartigen Forschungsbibliothek, deren Bücher nur vor Ort studiert werden können, ist ein 760 Jahre altes Unikat. Über dreissig Exemplare sind dagegen von einem «Probierbüchlein» vorhanden, das Rezepte zum alchemistischen Verwandeln von Eisen in Gold (bis heute ohne Erfolg ...) bereithält.