Accesskeys

Unternavigation

Kontakt

Haben Sie Fragen oder Anregungen? Kontaktieren Sie mich!

Vom Schmaus zum Graus

schaffhauser az, 14.01.2016 von Jimmy Sauter

az.gif

Cartoon Kevin Brühlmann

Das Schaffhauser Volk kann entscheiden: Fünf Massnahmen des 45 Millionen Franken teuren Sparpakets ESH4 des Schaffhauser Regierungsrates kommen voraussichtlich im Juli zur Abstimmung. Darunter die radikalen Kürzungen bei der Krankenkassen-Prämienverbilligung und die Kostenpflicht für Kanti-Freifächer. Andere Massnahmen wurden bereits gestrichen. Sagt auch das Volk 'Nein', ist ESH4 halbiert – zum Graus der Regierung.

Ein Viertel ist bereits futsch. Nachdem der Schaffhauser Kantonsrat am Montag den geplanten Steuerfussabtausch zum zweiten Mal gebodigt hat (siehe auch Printausgabe), fehlen im Sparpaket ESH4 definitiv 9,2 Millionen Franken. Zusammen mit weiteren gescheiterten Sparvorschlägen ist ESH4 – Stand jetzt – noch 31,4 Millionen Franken schwer. Zu Beginn wollte die Regierung den Kantonshaushalt um knapp 45 Millionen Franken entlasten.

Weitere 6,7 Millionen Franken könnten dem Kanton im Juli flöten gehen, wenn die Schaffhauser Stimmberechtigten über fünf ESH4-Massnahmen entscheiden (siehe unten). Dazu kommt voraussichtlich Ende 2016 der Urnengang über die Volksschulinitiative, die das 'Bündnis Zukunft Schaffhausen' gegen den geplanten Abbau von einem halben Jahr Schulunterricht eingereicht hat. Ein weiteres Fragezeichen muss zur so genannten Vorlage 'Volksschule aus einer Hand' gemacht werden. Eine Volksabstimmung ist auch hier so gut wie sicher (mehr zur Bildung auch auf Seite 15 der Printausgabe). Beide Vorlagen zusammen sollen den Kantonshaushalt nochmals um knapp drei Millionen Franken entlasten. Wie die 'az' bereits im September ausgerechnet hatte, könnten am Ende von den 45 Millionen noch knapp 22 übrig bleiben.

Pflegegesetz
Die Gegner des Spardrucks in der Pflege durften hoffen. Im letzten Jahr brachte Iren Eichenberger (ÖBS) noch einen Kompromiss durch. Am Montag aber hielten die Bürgerlichen ihre Reihen praktisch geschlossen. Eichenbergers unveränderter Antrag scheiterte.
Konkret will die Regierung Patienten früher aus dem Spital abschieben, beziehungsweise die Kosten nach 14 Tagen nicht mehr übernehmen. Der Kanton würde damit 1,3 Millionen Franken einsparen. Davon sollen 500'000 Franken die Gemeinden übernehmen. Wer für die restlichen 800'000 Franken aufkommen soll, steht in der Vorlage nicht.
Einsparungen: 1'300'000 Franken.
Prognose: Wird abgelehnt.


Ehegattensplitting
Der Vorschlag des Regierungsrates in Sachen Ehegattensplitting ist bereits vom Tisch. Die Regierung wollte den Steuerdivisor, mit dem die so genannte 'Heiratsstrafe' abgeschwächt werden soll, von 1,9 auf 1,8 senken. Verheiratete Paare hätten dem Staat damit laut Berechnungen der Regierung knapp 2,5 Millionen Franken mehr Steuern abgeliefert. Nun geht es noch um einen Kompromissvorschlag, einen Divisor von 1,85. Bereits diesem Kompromiss stimmten die meisten Kantonräte aber nur zähneknirschend zu. So sagte Franz Marty (CVP), dass seine Partei wohl die Nein-Parole fällen werde.
Mehreinnahmen: Ca. 1'200'000 Franken.
Prognose: Wird klar abgelehnt.


Kapitalabfindung
Die Volksabstimmung über eine Erhöhung des Steuersatzes auf Kapitalabfindungen haben SVP und Jungfreisinnige provoziert. Damit würde ein wichtiger Standortvorteil verloren gehen, argumentieren sie. Tatsächlich zählt Schaffhausen diesbezüglich zurzeit zu den steuergünstigsten Kantonen. Bei einer Kapitalabfindung von 100'000 Franken würde heute ein Steuerbetrag von 2'784 Franken fällig. Nur in Zug und Schwyz wäre der Betrag noch tiefer. Laut Finanzdirektorin Rosmarie Widmer Gysel würde Schaffhausen aber trotz Steuererhöhung immer noch zu den attraktivsten Kantonen gehören.
Mehreinnahmen: 923'000 Franken.
Prognose: Das wird knapp.


Prämienverbilligung: Politik contra Volk
Der mit Abstand grösste Brocken im Sparpaket ESH4 sind die Einsparungen bei den Krankenkassen-Prämienverbilligungen. Der Schaffhauser Regierungsrat hat diese Sparmassnahme vorgeschlagen, im Wissen darum, dass die Schaffhauser Stimmberechtigten im November 2012 eine Volksini­tiative, die genau das verhindern wollte, angenommen hatte. Sie hat dem Gesetzestext sogar einen Passus hinzugefügt, der eben jenen Volksentscheid komplett rückgängig macht. 'Dieser Artikel ist der dreisteste aller Kniffe, den sich die Regierung hat einfallen lassen', wetterte AL-Kantonsrätin Susi Stühlinger bereits im letzten Jahr – und fing sich für das Wort 'dreist' eine offizielle Rüge vom damaligen Kantonsratspräsidenten Peter Scheck (SVP) ein.

Das Ziel der Regierung: Den Kanton um drei Millionen Franken und die Gemeinden um 5,6 Millionen entlasten. In ihren Worten heisst das: 'Die Beitragssumme zur Prämienverbilligung (...) reduziert sich gegenüber der derzeit gültigen Regelung (Sozialziel gemäss angenommener Volksinitiative) um (...) 30 Prozent. Betroffen von den Beitragskürzungen sind primär Haushalte mit Kindern.' Das klingt sogar auf Beamtendeutsch wie ein schlechter Scherz, steht aber genau so in der Vorlage.

Um zu verhindern, dass vor allem Familien in Zukunft auf massiv tieferen Prämienverbilligungen sitzen bleiben, eilte Susi Stühlinger auch diesen Montag wieder fünf Mal ans Rednerpult. Dabei entlarvte sie einen weiteren Kniff des Regierungsrates. Dieser hat die Sparmassnahmen im Vergleich zur ursprünglichen Fassung sogar noch einmal verschärft – weil er bemerkte, dass das Sparziel mit der ersten Variante nicht erreicht wird.

Ausser bei SP, Juso, ÖBS und EVP fand Stühlinger mit ihren Worten aber kein Gehör. Neben FDP, SVP und EDU stimmten sogar die 'Familienpartei' CVP und die Grünliberalen dafür, den Volksentscheid von 2012 rückgängig zu machen. Ob das Stimmvolk dabei ebenfalls mitmacht, ist fraglich. Meistens erinnert es sich daran, wenn es einmal zu etwas 'Nein' gesagt hat.
Einsparung: 3'000'000 Franken (nur Kanton)
Prognose: Wird abgelehnt.


Kanti-Freifächer
Letzten Sommer schloss Julian Stoffel die Schaffhauser Kantonsschule als bester aller Maturanden ab. Während seiner Schulzeit belegte Stoffel zahlreiche Freifächer, unter anderem Gitarre, Gitarrenensemble, Latein, Hebräisch, 'Religion und Kultur' sowie Geschichte.

Wäre das neue Freifächer-Regime, das der Kantonsrat gegen den Willen der Linken angenommen hat, bereits in Kraft, wäre das für Julian Stoffel teuer geworden. Laut der neuen Regelung wäre das erste Freifach noch gratis gewesen. Für jedes weitere hätten er oder seine Eltern 100 Franken pro Jahr berappen müssen. Aus­ser für den Musikunterricht. Dafür wären es 500 Franken gewesen. Hätte Julian Stoffel alle diese Freifächer in einem Jahr gewählt, hätte ihn das somit 900 Franken pro Jahr gekostet. Und das nur, weil er ein wissbegieriger Schüler ist. Dann hätten er und seine Eltern sich diese Freifächer-Auswahl 'sorgfältig überlegen' müssen, sagt Stoffel gegenüber der 'az'.

290'000 Franken pro Jahr will die Regierung mit den kostenpflichtigen Freifächern an der Kanti von den Schülern und Schülerinnen absahnen. Im Vergleich zum 45-Millionen-Franken-Sparpaket sind das Peanuts. Oder in Zahlen ausgedrückt: 0,6 Prozent.

Zudem ist fragwürdig, ob dieses Geld überhaupt fliessen wird. Wahrscheinlich ist, dass die betroffenen Schüler einfach weniger Freifächer buchen. Das bedeutet: weniger Schüler in einer Freifach-Klasse, aber gleich hohe Lohnkosten. Verlierer auf allen Ebenen.

Neben den Kantischülern könnten in Zukunft aber auch die Schüler und Schülerinnen der Berufsschulen zur Kasse gebeten werden. Mit dieser Vorlage erhält der Regierungsrat jedenfalls die Kompetenz dazu, Gebühren für sämtliche Freifächer ab dem neunten Schuljahr (Ende der Schulpflicht) zu erheben.
Mehreinnahmen: 290'000 Franken
Prognose: Das wird knapp.

Originalbericht az