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Urteil als Zeichen für die Integration
Schaffhauser Nachrichten, 28.10.2008 von Robin Blanck
Erfreut über das Bundesgerichtsurteil sind die Behörden - ob die Familie den Fall weiterzieht, ist noch offen.
Mit seinem Entscheid vom Freitag sorgte das Bundesgericht landesweit für Aufmerksamkeit: Die Lausanner Richter gaben der Schaffhauser Schulbehörde recht, welche sich geweigert hatte, zwei muslimische Primarschüler aus religiösen Gründen vom Schwimmunterricht zu dispensieren. Im Verhältnis von drei zu zwei Stimmen wurde eine entsprechende Beschwerde der in Schaffhausen wohnhaften tunesischen Familie abgewiesen (siehe SN vom 25. Oktober). Erfreut über das Urteil ist erwartungsgemäss Urs Hunziker, amtierender Präsident des Stadtschulrates: «Wir sind höchst zufrieden», sagt Hunziker, der damit die Argumentation des Schulrates bestätigt sieht. Für Erziehungsdirektorin Rosmarie Widmer Gysel trägt das Urteil «den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und den Aspekten der Integration und Gleichberechtigung Rechnung» und lässt «Dispense in Zukunft nur noch in begründeten Einzelfällen» zu. Weiterhin bewilligt werden müssen natürlich gesundheitlich begründete Dispensgesuche.
Allerdings hält sich die Anzahl der religiös begründeten Gesuche in überschaubaren Grenzen: Zwischen sechs und zehn Gesuche erreichen pro Jahr den Stadtschulrat, gerade aktuell sind wieder zwei bei der Schulbehörde eingegangen. Zum Vergleich: Von den total 3158 Schulkindern in der Stadt gehören 546 dem muslimischen Glauben an. Bereits 2004 und 2006 hatte Thomas Hurter in seiner Funktion als Stadtschulrat beantragt, solche Dispensgesuche abzulehnen, unterlag jedoch knapp in der schulratinternen Abstimmung: «Die Situation war unglücklich, denn das Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 1993 musste als Begründung dauernd herhalten», erinnert sich Hurter, der den Entscheid vom Freitag begrüsst. «Das Urteil ist ein klares Signal: Integration bedeutet, dass man in der Volksschule mitmachen muss.» Ähnlich sieht es auch die designierte Schulpräsidentin Katrin Huber Ott: «Den obligatorischen Schulunterricht müssen alle besuchen. Wenn sich jemand bei uns integrieren will, muss er sich damit arrangieren», sagt Huber Ott und verweist auf die entsprechenden Möglichkeiten wie längere Badebekleidung. Ursprünglich wurden vor allem Gesuche für die Dispensation von Mädchen gestellt, und seit 1993 wurde diesem Anliegen auch in der Stadt aufgrund des Bundesgerichtsentscheides entsprochen. «Als plötzlich auch Knaben hätten dem Schwimmunterricht fernbleiben sollen, wollte der Schulrat einschreiten», sagt Hunziker. Weil die jetzt abgelehnte Beschwerde keine aufschiebende Wirkung hatte, mussten die beiden betroffenen Schüler auch bis anhin den Schwimmunterricht besuchen - ausser sie konnten entsprechende ärztliche Zeugnisse vorweisen, was vorkam. Bleiben die Knaben dem Unterricht ohne Attest fern, drohte und droht eine Busse. Ob das Urteil nun von der Familie an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weitergezogen wird, war bis gestern noch nicht klar: «Entscheiden können wir das erst, wenn wir das begründete Urteil haben», sagt Rechtsanwalt Gerold Meier. Das Urteil sei gemäss Meier «unzulässig»: «Es geht doch nicht, dass eine feststehende Praxis des Bundesgerichts mit einer Zufallsmehrheit verändert wird», spielt Meier auf den knappen Entscheid an. Meier wird sich nun mit seinen Klienten besprechen, das Urteil ist aber rechtsgültig. «Ob die Kinder tatsächlich den Schwimmunterricht besuchen, weiss ich nicht», sagt Meier, «denn die Betroffenen kommen durch das Urteil in schwerwiegende Konflikte - das Bundes- gericht hat das einfach nicht gesehen.»