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Unverhoffte Einnahme und Verausgabung
Schaffhauser Nachrichten, 27.10.2007 von Jan Hudec
Zehn Jahre Kammgarn durften am Donnerstagabend gefeiert werden. Zum Geburtstag tilgten Stadt und Kanton die Schulden, und Politiker überraschten im Poetry-Slam.
Der Satz: «Ach, du bist auch hier», mal mit, mal ohne böse Hintergedanken ausgesprochen, hätte an der 10-Jahr-Kammgarn-Feier wohl ohne weiteres den Titel der meistgeäusserten Floskel gewonnen. Denn treffen konnte man am Donnerstagabend in der Kammgarn fast jeden, der sich zur Schaffhauser Polit- und Kulturprominenz zählen darf. Damit es aber nicht nur bei bravem Händeschütteln und Small Talk blieb, hatte die Kammgarn-Crew ein Rahmenprogramm gestaltet, mit dem sie eindrücklich unter Beweis stellte, wovon sie am meisten versteht: dem Organisieren einer gelungenen Party.
Nachdem Urs Raussmüller dem gesamten Kammgarn-Team zum Jubiläum gratuliert und die Truppe dazu aufgefordert hatte, sich weiterhin mit so viel Hingabe ihrer Sache zu widmen, betrat das Enfant terrible der Schaffhauser Kulturszene, Gabriel Vetter, die Bühne. Schnell wurde klar, dass der wie gewöhnlich etwas biederen Apéro-Atmosphäre bald ein gehöriger Schuss Frechheit beigemischt würde.
Vetter kündigte nämlich den ersten Schaffhauser «Cervelat-Polit-Prominenz-Poetry-Slam» an. Fünf Teilnehmer hatten sich im Vorfeld bereit erklärt, auf der Bühne einen eigenen Text vorzutragen, der dann von einer freiwilligen Jury bewertet werden sollte. Die fünf Kandidaten für den Sprechwettkampf waren: Dieter Hafner, ehemaliger Kantons- und Grossstadtrat, Kantonsrat Jürg Tanner, Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel, Stadtrat Thomas Feurer und Ralph Tanner, Deutschlehrer an der Kanti.
Furiose Darbietungen
Wer nun dachte, die Kandidaten würden sich mehr schlecht als recht über die vorgegebene Vortragszeit retten, sah seine Erwartung rasch widerlegt. Dieter Hafner, der die Bühne als Erster bestieg, überraschte das Publikum nämlich mit einer furiosen Perfomance: Er schrie, stampfte, gestikulierte wild und erntete dafür begeisterten Applaus. Jürg Tanner, der nächste Kandidat, überzeugte mit provokativen und hintersinnigen Wortspielen. Verblüfft ob so viel unerwarteter Kunstfertigkeit im Poetry-Slam und leicht desillusioniert gestand Vetter ein: «Ich glaube, ich muss in Frührente gehen. Die Alten rücken langsam nach.»
Den Überraschungcoup des Abends landete jedoch Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel, als sie ankündigte, dass die rund 50 000 Franken Schulden der Kammgarn getilgt würden (siehe Kasten). Widmer Gysel und nachfolgend Stadtrat Thomas Feurer schlugen ein eher ruhigeres Tempo an und mussten sich zum Schluss mit den Plätzen fünf respektive vier begnügen. Das sollte allerdings bloss die Ruhe vor dem Sturm gewesen sein, denn Ralph Tanners wortgewaltiger Vortrag schliesslich entfesselte das Publikum. Verdient durfte er den Sieg in Form einer Whiskey-Flasche nach Hause tragen.
Die Gäste jedenfalls waren beigeistert von der Feier, und allenthalben war aus Gesprächen zu vernehmen, dass dies wohl einer der lustigsten Abende seit langem gewesen ist.