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Sechseläuten - ein Selbstversuch
schaffhauser az, 23.04.2009 von Susi Stühlinger
Ganz Schaffhausen hat genug vom Sechseläuten. Ganz Schaffhausen? Nein! Eine kleine Zeitung jenseits der Vordergasse will ihren Senf auch noch dazu geben. Die `az` hat sich ins Getümmel gewagt und ist froh, einigermassen unbeschadet wieder heraus gekommen zu sein.
`Wird alles wieder guet`, jubelte ein sanguinischer Christoph Blocher. Herr Merz, Herr Haltiner, Frau Widmer-Gysel - alle waren sie guter Dinge, es hagelte massenweise Rosen und Küsse. Vergessen ist die Krise, das gescheiterte Schulgesetz und der iranische Präsident. Und man ist sich einig: Ein wahrlich `schöös Sächsilüüte`. Das Fazit vorweg: Das Sechseläuten war der Gang durch eine kleine Hölle. Der Kanton Schaffhausen hat sich bestimmt allergrösste Mühe gegeben. Möge er vom Gastauftritt profitieren! Das Sechseläuten und was dazugehört ist und bleibt Geschmackssache. Deshalb sollte man die Feste denen lassen, die sie feiern wollen. Die Berichterstattung darüber vielleicht auch.
Schaffhausen, Freitag, 17. April
15.30 Uhr: Bushof Schaffhausen. Warten auf den Bus, der uns, ziemlich viele Politiker und eine Handvoll weiterer wichtiger Menschen nach Zürich bringen soll. Soll. Da kommt kein Bus. Aha. Es muss sich wohl um den alten Bushof handeln. Tatsächlich. Alle andern scheinen es gewusst zu haben. Hege den Verdacht, man wollte uns absichtlich an den falschen Ort locken und uns so vom Geschehen ausschliessen. Auf der N4 erzählt der Fahrer von Wildwechsel-Überführungen für grosse Zürcher Wildschweine. Male mir Schlagzeilen aus: `Carfahrt zum Sechseläuten endet tragisch, 15 Politiker und 2 Journalisten finden bei Unfall den Tod.`
16.30 Uhr: Haben es wider Erwarten überlebt. Der Lindenhof erstrahlt zartgrün im Sonnenglanz. Die Studentinnen der Pädagogischen Hochschule Schaffhausen (PHSH) schwitzen in den bunten Pullovern mit der gelben Niere drauf. Diese werden übrigens noch für Missverständnisse sorgen, wenn der Tages-Anzeiger über den Kinderumzug vom Sonntag berichtet, dort Leute in `Peace`-Pullovern gesichtet zu haben - wo da doch `Piece of Paradise` steht. Der Noch-Chefredaktor, im Inhaltsverzeichnis des offiziellen Programmhefts übrigens mit `Peter Hartmann` beschriftet, hätte es besser wissen müssen. Dieser aber gestand später im Interview mit Tele-Züri, dass er zur schweigenden Mehrheit gehöre, welche die Paradieskampagne `behämmert` finde. Freiwillig ist das Engagement auf dem Lindenhof nicht für alle: Die PHSH-Studentinnen wurden für die Übung eines Ferientags beraubt. Ähnlich ergeht es den Damen der Verwaltung, die, mehr oder weniger begeistert, am Apéro die Weingläser ihrer Chefinnen und Chefs nachfüllen.
17.30 Uhr: Auch gewöhnliche Menschen finden den Weg in die Dépendance des kleinen Paradieses. Viele ziehts in die Lounge, wo das Blauburgunderland seine Vorzüge degustieren lässt. `Seehrr schön, nei, würkli fontastisch!`, lobt ein bereits leicht angeheiterter Gast. Ob er denn jetzt nach Schaffhausen ziehen wolle? `Nein, ihr habt euch wirklich Mühe gegeben, aber der Rhein ersetzt nicht den See.` Ausserdem trinke er normalerweise lieber Bier. Rosmarie Widmer-Gysel weiht die Rutschbahn ein, nachdem diese (also die Rutschbahn) bereits von den Medienleuten vorgewärmt worden ist. Die SN berichteten später, dass der Zürcher Regierungsrat Thomas Heiniger unserer Erziehungsdirektorin seine (so vermuteten PHSH-Studentinnen) pinkfarbenen Socken nicht ausleihen wollte. Er bremst fest und uncouragiert. Frau Widmer-Gysel macht es besser.
17.35 Uhr: Eröffnungsreden. Sie sind erfrischend kurz gehalten. Dass man als toller Gastkanton, der dem Sechseläuten solch ausserordentlichen Glanz verleiht, auch noch 12 Schaffhauser Taler mit einem bestimmten Gegenwert in Franken an die Zünfter verschenken muss, finde ich nicht ganz einleuchtend. Nebenan sitzt ein älterer Herr, der mir ständig Wein nachschenkt und zuprostet. Glaube, er will mich betrunken machen. Suzanne Klee und Christian Amsler singen das `Munotglöggli`, wobei man von der Country-Lady nicht allzu viel hört, offenbar hat sie eher eine Stützfunktion inne, damit der PHSH-Prorektor den Ton trifft. Finde, er verdient Respekt für den mutigen Einsatz. Lisa Stoll, nicht zu verwechseln mit der fast gleichnamigen Slam-Poetin, spielt Alphorn. Die Mehrheit der Gäste scheint dies allerdings wenig zu interessieren.
Mein Schweinshals `Munotwächter` ist halb roh, die Köche offenbar nicht verliebt: Dem Kartoffelstock, eine Wurst, die nur dank ihrer Farbe keine schlimmeren Assoziationen hervorruft, fehlt wohl das Salz. Andere sollen mehr Glück gehabt haben.
19.45 Uhr: Verdrücke mich feige, ohne das Dessert abzuwarten. `Wüssedsiwas, sie sind en Schatz, haha, aber leider nöd miine`, verabschiedet sich der Herr, dessen eifriges Nachgiessen langsam seine Wirkung entfaltet.
Zürich, Montag, 20. April
14.00 Uhr: Auf dem Sechseläutenplatz werden unter den Blicken der Schaulustigen letzte Vorkehrungen getroffen. Ahnungslos frage ich eine Dame, ob die vielen Rosen, die zu ihren Füssen liegen, für die armen Frauen seien, die bekanntlich nicht mittun dürfen. Sie schweigt. Dann sagt sie, sie wisse nicht, ob sie auf eine so blöde Frage antworten solle. `Wer sind Sie den überhaupt, dass Sie sich erdreisten?`, fragt sie. Fahre unbeirrt fort. Ob sie die Blumen denn verkaufe? Oder als Geschenk verteile und so für ihren Blumenladen werbe? Sie: `Eine Frechheit, keinen Respekt vor unseren Traditionen.` Seltsamerweise spricht sie Hochdeutsch. Als nebenan weitere Frauen mit dicken Sträussen vorbeiziehen, dämmerts. Dachte, mich gut vorbereitet zu haben. Hatte Zunftnamen, Gründungsjahre und Ehrengäste auswendig gelernt - dass Blumen verschenkt werden, ging mir allerdings ab. Nehme geschwind Reissaus.
14.45 Uhr: Auf dem Bürkliplatz finden sich auch drei junge Männer, allesamt dekoriert mit einem Ballon in Form des debilen Seesterns aus der TV-Serie `Spongebob`. Sie stellen sich als `Zunft zum vollen Horn` vor und erklären, sie wollten die Veranstaltung um eine zusätzliche Note erweitern. Ihr Vorhaben: Dem Zug folgen und dabei friedlich den zunfteigenen Bierdosen huldigen, beziehungsweise ebendiese leeren. Finde ich sympathisch.
Da! Die bunten Nierenpullis! Fünf an der Zahl. Der Familie, zugezogen aus Stuttgart, gefällts in Schaffhausen so gut, dass sie gleich Werbung machen und am Umzug mitlaufen will. `Wir möchten gerne etwas für unseren Wohnkanton tun, das ist als Ausländer ja sonst nicht so einfach. Hier haben wir die Gelegenheit dazu.`
Auf einem Laternensockel ruht sich eine ältere Dame mit Soft-Ice aus. Bin vorsichtig geworden. Stelle mich in aller Form vor und frage höflichst, ob sie gedenke, den Umzug von hier aus zu betrachten. `Ein bisschen vielleicht`, meint sie, `ja, manchmal komme ich her und schaue zu, lieber gehe ich aber schwimmen.` Sie hat also keine Verwandten, die mitlaufen? Sie winkt ab. `Wissen Sie, die Zünfte, das ist etwas für die Reichen, uuuuh, das kostet viel Geld.`
In der aufmarschierenden Knabenmusik spielen zu meiner Verwunderung auch Mädchen. Frage ein Frau am Strassenrand. Sie ist Oberländerin, wusste es auch nicht und ist positiv überrascht. `In den Zünften, das ist saublöd und völlig überholt, dass die Frauen nicht Mitglied werden dürfen. Überall Reformen, wieso nicht auch hier?` Die Zünfter selber weisen den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit übrigens vehement zurück: `Ohne unsere Frauen wäre das Sechseläuten nicht denkbar`, sagen sie.
Der Wurstverkäufer ist zufrieden. Seit 33 Jahren ist er dabei. Ob es nebst Olmabrat- und Engadinerwürsten denn keine `Züriwurst` gebe? `Nein. Doch! Die andere Filiale hat den Zürcher Zipfel, der ist dann aber scharf, mit Chili.` Zwei japanische Touristen entpuppen sich als Austauschstudenten aus Singapur. Nein, etwas Vergleichbares gebe es in ihrer Heimat nicht. Lustig und komisch finden sie es. Ob sie wissen, worum es geht? `Die Schweiz feiert ihre Unabhängigkeit.` Wenn man überlegt, dass die Zürcher am Sechseläuten ganz mit sich selbst beschäftigt sind und so ausserhalb für ein Mal keinen Schaden anrichten, könnte das sogar stimmen.
16.00 Uhr: Das revolutionäre Bündnis hat eine Störaktion am Bellevue angekündigt. Mit der vagen Ahnung, einer PR-Posse für dumme Journalisten auf den Leim gekrochen zu sein, warten wir auf den schwarzen Block. Das tun auch fünf Polizisten in Vollmontur. Ausserdem, so ist es der NZZ zu entnehmen, deren Berichterstatter ebenfalls. Der schwarze Block kommt nicht, dafür die `Zunft zum vollen Horn`. Tatsächlich seien sie unbehelligt beim Umzug mitgelaufen, sagen sie. Die Polizeibeamten wittern Ärger: Sie rücken an, kontrollieren Ausweise und Rucksäcke. Nachdem sie sich davon überzeugt haben, dass die Drei offenbar keine Bedrohung darstellen, lassen sie die `Zunft zum vollen Horn` ziehen. Sich ihnen anzuschliessen, wäre verlockend.
16.30 Uhr: Das `Mascotte` schmeisst eine VIP-Party zu Ehren des Gastkantons. Mit dabei der notorische DJ Dr. Snäggler alias Hermann-Luc Hardmeier. AL-Stadtschulrat Simon Stocker steht als politischer Ehrengast hinter der Bar. Lasse mir von ihm ein Falkenbier geben. Kann keine VIPs entdecken. Vermutlich erkenne ich sie einfach nicht. Da sind schon einige, die very important aussehen oder zumindest so tun. Die beiden Damen hinter den grossen Sonnenbrillen, assorté in die Kotz-Trendfarbe Fuchsia gewandet, zum Beispiel. Übrigens waren auch die Socken von Thomas Heiniger, die er Rosmarie Widmer-Gysel nicht leihen wollte, in Tat und Wahrheit nicht pink-, sondern fuchsiafarben.
Ob ich noch eins von den Chüechli wolle, fragt die Hostess mit dem Tablett voll Bölletünne, offenbar hat sie das Briefing zu den dargereichten Schaffhauser Spezialitäten verpasst. Beim `Böögg-Toto` kann man gegen einen Fünfliber wetten, wie lange der Böögg brennt. Lasse es bleiben. Frage einen älteren Zürcher, weshalb er hier sei. `Ja man muss da schon die einheimischen Gewächse vom Gastkanton beobachten`. Er deutet an, dass er damit die Frauen meine. Die Sonne scheint mir nicht gut getan zu haben. Überlasse die VIPs sich selbst und ergreife erneut die Flucht. Ein Kind im Biedermeierkostüm stellt mir den Haken. Taumle in einen Rosenstrauss. `He Sie! Chönndsinödufpasse?`, ruft die Frau mir nach. Es reicht. Springe in Stadelhofen auf den nächst besten Zug Richtung HB.
18.00 Uhr: Schlechtes Gewissen stellt sich ein. Wie unseriös von mir, einfach abzuhauen. Rase von Sinnen im HB herum und rufe lauthals: `Dä Böögg brennt! Dä Böögg brennt!`. Auf dem Bahnsteig steht ein Mann im bunten Nierenpulli. Ob er nicht zusehen wolle, wie der Böögg brennt, frage ich ausser Atem. `Um Gottswille nei, mir langts`, schnauft er.