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Resultat wird verschieden interpretiert
Schaffhauser Nachrichten, 28.02.2006 von Erwin Künzi
Die Abstimmung über die Fremdsprachen-Initiative im Kanton Schaffhausen hat in der übrigen Schweiz ein grosses Echo ausgelöst.
Im Kanton Zürich berief noch am Sonntag die Bildungsdirektorin Regine Aeppli (SP) eine Medienkonferenz ein, um das Schaffhauser Resultat zu kommentieren. Sie freue sich sehr über das «unerwartete» Schaffhauser Ergebnis, sagte die Regierungsrätin. Die Stimmberechtigten hätten pädagogische Klugheit und staatspolitische Weitsicht gezeigt, indem sie sich gegen ein Französisch-Lernverbot an der Primarschule aussprachen. Die Schaffhauser hätten erkannt, dass kleine und junge Kinder Sprachen einfacher lernen als Erwachsene, sagte Aeppli. Dies zeige, dass das Modell 3/5 der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), wonach mit Englisch- und Französischunterricht in der dritten und fünften Klasse begonnen wird, umsetzbar sei. Im Kanton Zürich ist die Einführung von Früh-Englisch seit dem Schuljahr 2004/05 im Gang. Die letzten 53 Gemeinden setzen die Reform ab Sommer um. Dagegen wehrt sich die Lehrerschaft. Ihre Initiative «Nur eine Fremdsprache an der Primarschule» wird spätestens in der ersten Hälfte 2007 dem Volk vorgelegt. Aeppli hofft nun, dass der Schaffhauser Entscheid Signalwirkung hat für Zürich: Gerade grössere Ortschaften und Gemeinden nahe dem Kanton Zürich hätten die Initiative deutlich abgelehnt.
Auch die schweizerische Erziehungsdirektorenkonferenz wertete den Ausgang der Abstimmung positiv. In einer Mitteilung zeigte sie sich «erfreut». Wissenschaft und praktische Erfahrungen hätten gezeigt, dass Kinder durch frühes Sprachenlernen nicht überfordert seien. Im Gegenteil: Das Lernen im frühen Alter falle ihnen leichter, heisst es in der Mitteilung.
«Grosse Genugtuung»
Die «Interessengemeinschaft für zwei Fremdsprachen an der Primarschule» (I2FP), welcher zahlreiche Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, der Forschung und der Schulpraxis sowie Organisationen der Zivilgesellschaft in der ganzen Schweiz angehören, nahm mit grosser Genugtuung und Erleichterung zur Kenntnis, dass sich die Schaffhauser Bevölkerung zu Gunsten von zwei Fremdsprachen an der Primarschule ausgesprochen hat. Es handle sich um eine Entscheidung von nationaler Bedeutung. Davon gehe nämlich ein deutliches Signal aus: Erstens werde ein wichtiger Schritt in Richtung eines Bildungsraumes und einer koordinierten Schule in der Schweiz getan. Die Sprachen sollen dabei nicht länger als eine Belastung betrachtet werden. Sie seien vielmehr ein kulturelles Mittel zur Gestaltung einer zukunftsorientierten Bildung der jungen Generationen, zur Gewährleistung einer besseren Mobilität, zur besseren Verständigung zwischen den Sprach- und Kulturgemeinschaften unseres Landes und zur Verstärkung der Wirtschaft, schreibt sie in ihrer Mitteilung.
Vorentscheidung
Zweitens handle es sich um eine Vorentscheidung für die Volksabstimmungen, die im Mai in den Kantonen Thurgau und Zug und später in Zürich und Luzern folgen werden. Die Voraussetzungen für den Kampf gegen die Volksinitiativen in diesen Kantonen seien nun sehr günstig. Das knappe Resultat müsse dahin gedeutet werden, dass die Befürchtungen der Initianten besonders ernst genommen werden müssen. Insbesondere verdiene die Schaffung von günstigen pädagogischen, didaktischen und institutionellen Bedingungen für Lernende und Lehrkräfte grosse Aufmerksamkeit, damit Sprachen nicht zur Belastung, sondern zu einem wirklichen kulturellen Mehrwert führten.
«Unsachliche Ebene»
Das interkantonale Koordinationskomitee «Nur eine Fremdsprache an der Primarschule» macht den Druck, der auf die Schaffhauser Bevölkerung ausgeübt worden sei, für das Resultat verantwortlich: «Mit dem nachfolgenden grossen Druck, der auf die Schaffhauser Bevölkerung ausgeübt wurde, hat sich die Diskussion jedoch auf eine unsachliche Ebene verlagert. Es wurden diffuse Ängste geschürt und damit gedroht, dass der nationale Zusammenhalt bedroht sei und dass ein Bundesdiktat Französisch als erste Fremdsprache vorschreiben und damit das Frühenglisch verboten werden könnte. Die trotz dieses Drucks äusserst knappe Niederlage zeigt jedoch, dass der Widerstand gegen zwei Fremdsprachen gross und eine Volksabstimmung absolut gerechtfertigt ist. Das interkantonale Koordinationskomitee wird sich weiterhin für den Erfolg in den noch kommenden Volksabstimmungen der Kantone Zug, Thurgau, Zürich und Luzern einsetzen.»
«Misere unverändert»
Der Dachverband der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) nimmt die Abstimmung zum Anlass, auf die allgemeine Misere, welche in der Sprachenpolitik der Kantone herrsche, hinzuweisen. Es gebe keinen Grund zur Freude - weder auf der einen noch auf der anderen Seite, schreibt er und fährt fort: «Die Diskussionen um den Fremdsprachenunterricht zeigen eine tiefe Besorgnis in breiten Kreisen der Lehrerschaft. Dabei sind die Lehrerinnen und Lehrer weder generell reformfeindlich noch bequem, noch fachlich überfordert. Sie haben es einfach satt, einen für viele Kinder ungenügenden Unterricht machen zu müssen, weil unter den schlechten Arbeitsbedingungen ein besserer nicht mehr möglich ist.
Die Kantone selbst haben bei bisherigen Reformvorhaben eben die Befürchtungen genährt, dass auch diese nächste Reform wieder nur halbbatzig umgesetzt werden wird. Der LCH will grundsätzlich der Reform eine Chance geben. Er weist jedoch Aussagen zurück, welche die fachlich wohl begründete Sorge in der Lehrerschaft als Aktion einiger reformunwilliger und überforderter Lehrpersonen abqualifizieren. Die Lehrerschaft hat immer das Erlernen von zwei Fremdsprachen in der obligatorischen Schulzeit befürwortet. Sie verlangt aber seriöse Rahmenbedingungen, welche den Erfolg sicherstellen und sich nicht im Nachhinein als Betrug an den Schulkindern und an den Elternerwartungen herausstellen», heisst es abschliessend in der Stellungnahme des LCH.