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Reserve ist nicht erlaubt

schaffhauser az, 06.01.2017 von Mattias Greuter

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Gut versteckt ist halb gespart: finanzpolitische Matratze. Foto: Peter Pfister

Die «finanzpolitische Reserve» soll in der Kantonskasse ein Polster für schlechtere Jahre bilden. Das Gesetz erlaubt diesen Buchhaltungstrick allerdings nicht, wie die Finanzkontrolle bestätigt.

Die «finanzpolitische Reserve» des Kantons ist per Gesetz nicht zulässig. Zu diesem Urteil kommt die Finanzkontrolle in ihrem Bericht, welcher der «az» vorliegt. Auch ein externer Fachmann kommt zum Schluss, die Reservebildung sei klar «nicht erlaubt». Nun muss der Kantonsrat entscheiden, ob er den Buchhaltungstrick von Finanzreferentin Rosmarie Widmer Gysel dennoch durchwinkt.

Nach dem Rekordüberschuss des Jahres 2016 will die Regierung 33,1 Millionen auf die hohe Kante legen. Das sind ziemlich genau zwei Fussballstadien für den FCS, drei Dampfschiffe für die URh oder vier Fünftel des Sparpakets ESH4.

Diese «finanzpolitische Reserve» soll dazu dienen, die zu erwartenden Steuerausfälle durch die Unternehmenssteuerreform III (USRIII) zu decken. Die Stadt plant, von ihrem Überschuss ebenfalls einen satten Batzen von 20,7 Millionen Franken auf die Seite zu legen. Kritik gegen diese Pläne war bisher aber kaum zu hören. Selbst die «az» kommentierte am 15. März: «an sich keine schlechte Idee».

Was keine schlechte Idee ist, ist aber noch lange nicht erlaubt. Erste Verdachtsmomente geben die Rechnungsvorlagen von Stadt und Kanton gleich selbst: So schreibt der Stadtrat, der Kanton stütze sich bei seinem Antrag «auf das neue Finanzhaushaltsgesetz ab». Nur: Das neue Finanzhaushaltsgesetz ist noch gar nicht in Kraft. Am vergangenen Dienstag meldete der Kanton, es werde auf den 1. Januar 2018 in Kraft gesetzt.

Auch dass sich die Kantonsregierung gezwungen sah, in die Vorlage zur Staatsrechnung extra eine Abhandlung über die «Rechtmässigkeit der finanzpolitischen Reserve für Unternehmenssteuern» einzufügen, wirkte verdächtig.

«Nicht verboten»

Gibt es also überhaupt eine gesetzliche Grundlage für diesen Geldpuffer? Ab dem 1. Januar 2018 ist die Antwort ein klares Ja. Mit dem neuen Finanzhaushaltsgesetz wechselt Schaffhausen als einer der letzten Kantone auf das neue, harmonisierte Rechnungslegungsmodell (HRM2), das die finanzpolitische Reserve ausdrücklich als neues Instrument einführt. Das neue Finanzhaushaltsgesetz regelt es in einem eigenen Artikel mit sechs Abschnitten. Doch das ist die Zukunft, und die Regierung will das Geld jetzt auf die Seite legen.

Heute gilt das alte Finanzhaushaltsgesetz aus dem Jahr 1989, und die Regierung stützt sich mit ihrem Vorhaben auf einen Absatz über das Eigenkapital, der lautet: «Es umfasst auch Reserven für in nächster Zeit entstehende Verpflichtungen.» Diesen Passus meint Finanzdirektorin und Regierungspräsidentin Rosmarie Widmer Gysel, wenn sie der «az» auf Anfrage schreibt: «Das geltende FHG verbietet das Schaffen einer solchen ­Reserve nicht.»

«Nicht erlaubt»

Unabhängig vom Gesetz steht fest: Vor der Einführung des neuen Finanzhaushaltsgesetzes schreibt der Kanton seine Budgets und Rechnungen auf Basis von HRM1. Dieses Regelwerk ist der Vorgänger des per 1. Januar 2018 eingeführten HRM2. Es harmonisierte die Rechnungslegung unter den Kantonen und führte dazu einen einheitlichen Kontenplan ein. Für finanzpolitische Reserven gibt es im HRM1 kein Konto.

Andreas Bergmann ist Ökonomieprofessor an der ZHAW in Winterthur und gilt als massgebender Experte für Fragen der Rechnungslegung der öffentlichen Hand. Er hat das Vorhaben der Regierung für die «az» unter die Lupe genommen.

«Eine ‹finanzpolitische Reserve› im Eigenkapital ist im HRM1-Kontenplan nicht vorgesehen und somit – nach HRM1-Denkweise – auch nicht erlaubt», erklärt Bergmann, und doppelt nach: «Nach HRM1 ist das geplante Vorgehen klar unzulässig.» HRM1 ist jedoch kein Gesetz. Ob die gesetzliche Grundlage für die finanzpolitische Reserve ausreicht, konnte Andreas Bergmann auf die Schnelle nicht abschliessend beurteilen.

Und die Rechnungsprüfer? Patrik Eichkorn, Leiter der Finanzkontrolle (FiKo), will sich materiell nicht äussern, weil die Rechnung noch nicht abschliessend beraten ist. Die FiKo habe ihren Bericht zur Rechnung jedoch bereits abgeschlossen und sich auch mit der finanzpolitischen Reserve beschäftigt.

«Nicht zulässig»

Als die «az» Rosmarie Widmer Gysel mit der fragwürdigen Gesetzesgrundlage konfrontiert, spielt sie den Ball dem Kantonsrat zu: «Der Regierungsrat stellt Antrag, der Kantonsrat wird abschliessend darüber befinden.» Ausserdem verteidigt sie die Legitimation der finanzpolitischen Reserve erneut mit dem akutellen Finanzhaushaltsgesetz, das nach ihrer Ansicht die Reserve «nicht verbietet».

Zugleich schickt Widmer Gysel der «az» jedoch den Bericht der FiKo, der eine ganz andere Sprache spricht. Die FiKo schreibt, die Jahresrechnung entspreche den gesetzlichen Vorgaben – mit zwei Ausnahmen. Die erste betrifft buchhalterische Details, die zweite aber befasst sich mit der finanzpolitischen Reserve.

Die FiKo kommt zum Schluss: «Die ‹Einlage in finanzpolitische Reserve› von MCHF 33.1 unter der Finanzstelle 2538, ‹Direkte Abgaben›, ist gemäss gesetzlichen Vorschriften (Finanzhaushaltsgesetz vom 26. Juni 1989, FHG) nicht zulässig.» Und weiter: «Eine direkte Buchung von Aufwand in das Eigenkapital ist nicht erlaubt.» Die FiKo begründet dies unter anderem mit Art 8. Abs. 1. dieses Gesetzes, der lautet: «Die Rechnungsführung bezweckt eine klare, vollständige und wahrheitsgetreue Übersicht über die Haushaltführung.» Der Bericht der FiKo hält fest, dass diese gesetzliche Bestimmung «aufgrund der Auswirkungen (…) auf Ertrag, Aufwand, Gesamtergebnis, Kommentare und einige Kennzahlen nicht erfüllt» ist.

Damit steht fest: Dem Vorgehen der Regierung fehlt die gesetzliche Grundlage. Die Regierung schlägt etwas Ungesetzliches vor, das der Kantonsrat mit einem Beschluss am 12. Juni quasi legalisieren soll. Die FiKo schreibt denn auch mit Verweis auf die Kantonsverfassung: «Dem Kantonsrat ist das Recht unbenommen, die Kantonsrechnung aufgrund seiner eigenen Beurteilung zu genehmigen.»

«Nicht möglich»

Etwas anders ist die Situation in der Stadt: Auch weil für die Stadt zusätzlich die engeren Bestimmungen des Gemeindegesetzes gelten, kommt der Stadtrat zum Schluss, dass eine zum Kanton analoge Vorgehensweise «nicht möglich» ist. Der Unterschied: Bei der Stadt verändert die geplante finanzpolitische Reserve von 20,7 Millionen Franken das Rechnungsergebnis nicht.

So erklärt die Stadt die «finanzpolitische Reserve»: Ein Goldtopf, der heute gefüllt und später gebraucht wird. Die Balken sind Einnahmen aus Unternehmenssteuern. Bild: zVg

 

Der Kanton dagegen deklariert die Reserve als Aufwand und senkt so seinen Rekordüberschuss von 49,7 auf 16,6 Millionen Franken. Die Folge: Er ist kein Rekordüberschuss mehr. Die korrektere Lösung, für die sich die Stadt entschieden hat, hätte auch der Kanton wählen können – und auf diese Möglicheit weist der FiKo-Bericht explizit hin.

Die Regierung hat sich aber schon vor dem Entstehen des Berichts für den anderen Weg entschieden, der das Rechnungsergebnis verändert. Darauf angesprochen, dass dies nicht gerade eine «klare, vollständige und wahrheitsgetreue Übersicht über die Haushaltführung» im Sinne des Gesetzes ist, antwortet Rosmarie Widmer Gysel: «Es geht dem Schaffhauser Regierungrat nicht um ‹Resultatveränderung›, sondern einzig und allein darum, in den nächsten Jahren über ein (klar deklariertes und transparentes) Polster zu verfügen, um im Fall eines Einbruches der Steuereinnahmen bei den juristischen Personen nicht gleich wieder ein Entlastungsprogramm starten zu müssen!»

«Nicht bindend»

Politische Motive für die Resultatkosmetik – die Exekutive verändert dadurch die Entscheidungsgrundlage des Parlaments (siehe Kommentar auf Seite 2) für die Verwendung der Mittel – bestreitet Widmer Gysel: «Der einzige Grund liegt in den volatilen Steuererträgen bei den juristischen Personen, die sich mit der geplanten Steuerreform noch verstärken werden.»

Entscheiden wird der Kantonsrat – sowohl am 12. Juni über die Äufnung der finanzpolitischen Reserve als auch bei künftigen Budgetdebatten über die Verwendung der nun wieder im Überschuss vorhandenen Mittel. Denn der FiKo-Bericht hält auch fest: «Die Einlage in die ‹finanzpolitische Reserve› entfaltet unter der geltenden und zukünftigen Gesetzgebung zur Haushaltssteuerung keine bindende Wirkung.» Mit anderen Worten: Man dürfte das Geld, das die Regierung auf die Seite legen will, auch ausgeben.

Medienberichterstattung Regierungsrat 15. März 2017