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Pure Rotmalerei

schaffhauser az, 17.03.2016 von Jimmy Sauter

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Die Finanzmisere ist vorbei. Der Kanton Schaffhausen schreibt das erste Mal seit 2009 wieder schwarze Zahlen. Im letzten Jahr erwirtschaftete er einen Gewinn von fünf Millionen Franken – und das, obwohl der Regierungsrat zuerst mit einem rekordhohen Defizit gerechnet und das Sparpaket 'ESH4' lanciert hatte. Nun zeigt die 'az' auf: Die Rotmalerei der Regierung hat System – sie will damit den Spardruck konstant aufrechterhalten.

Wie schlimm ist die Finanzlage des Kantons Schaffhausen wirklich? Als der Regierungsrat im September 2014 das Sparpaket 'ESH4' lancierte, präsentierte er gleichzeitig das Budget für das Jahr 2015 – und malte den Teufel an die Wand: Mit einem rekordhohen Defizit von 38,9 Millionen Franken müsse der Kanton ­rechnen, wenn nicht sofort nachhaltige Sparmassnahmen umgesetzt werden. Die Regierung sprach von einem strukturellen Defizit von 40 Millionen Franken, das mit 'ESH4' beseitigt werden soll, um die Kantonsfinanzen wieder ins Lot zu bringen. Ziel: schwarze Zahlen ab 2017.

Darum überarbeitete die Regierung das ursprüngliche Budget 2015 gleich selber, fügte zahlreiche Sparmassnahmen hinzu und liess diese Ende 2014 im Kantonsrat von der Mehrheit aus FDP und SVP absegnen. Damals resultierte ein Defizit von 29 Millionen Franken. Doch dabei blieb es nicht. Die Linken polterten, SP und Juso ergriffen das Referendum gegen die Sparmassnahmen und gewannen die Volksabstimmung. Die Regierung musste nochmals über die Bücher – und siehe da, plötzlich schloss das Budget 2015 nur noch mit einem Minus von sieben Millionen Franken ab. Allerdings blieben die von den Stimmberechtigten abgelehnten Sparmassnahmen nahezu alle im Budget. Stattdessen nutzten FDP und SVP die Chance, um die Steuererhöhung zu streichen. Übrig blieb im Juni 2015 ein Budget mit einem Defizit von zehn Millionen Franken.

Nun liegt die Rechnung 2015 auf dem Tisch: Statt dem ursprünglichen Horror­szenario (38,9 Millionen Franken Verlust) resultiert ein Gewinn von fünf Millionen Franken. Und dabei sind einige der grössten Brocken des Sparpakets 'ESH4' noch gar nicht umgesetzt. Über die Kürzung der Prämienverbilligung entscheidet das Stimmvolk Anfang Juli. Bereits gescheitert ist der Steuerfussabtausch.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Der Kanton schloss nahezu jedes Jahr besser ab, als die Budgets jeweils prophezeiten. Für das Jahr 2012 rechnete der Regierungsrat mit einem Minus von 36 Millionen Franken. Am Ende waren es aber nur 30 Millionen. Ein Jahr später budgetierte er einen Verlust von 24 Millionen Franken. Die Rechnung schloss mit einem Minus von 17 Millionen ab. Für 2014 prognostizierte der Regierungsrat ein Minus von 38 Millionen Franken. Am Ende waren es 23.

Jedes Jahr 5 Millionen zu negativ
Geht man noch weiter zurück, stellt man fest, dass die verschiedenen Schaffhauser Kantonsregierungen schon ab Mitte der 70er-Jahre systematisch zu konservativ budgetierten. Fakt ist: Seit 1975 – also über einen Zeitraum von 41 Jahren – schloss die Rechnung nur gerade viermal (!) schlechter ab als das Budget.

Besonders krass war die Differenz im Jahr 2005. Damals resultierte statt einer budgetierten schwarzen Null ein Überschuss von 95 Millionen Franken. Dieses Jahr war jedoch ein Sonderfall. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) verkaufte ihre Goldreserven und der Erlös floss zu einem grossen Teil in die Kantonskassen. Damit war nicht zu rechnen, weshalb das Jahr 2005 für die nachfolgende Analyse nicht berücksichtigt wurde.

Dennoch: Auch ohne diesen Sonderfall haben die Schaffhauser Kantonsregierungen seit 1975 insgesamt über 300 Millionen Franken zu schlecht budgetiert – das entspricht 5,2 Millionen Franken pro Jahr. Berücksichtigt man sogar nur die letzten zehn Jahre, rechnete der Regierungsrat jeweils über elf Millionen Franken zu konservativ. Oder anders gesagt: In den letzten 41 Jahren hat der Regierungsrat nur achtmal ein Budget mit einem Gewinn präsentiert. Die Rechnung schloss aber in 24 Jahren positiv ab.

Die Schaffhauser Finanzdirektorin Rosmarie Widmer Gysel widerspricht. 'Der Kanton Schaffhausen budgetiert absolut nicht zu pessimistisch. Es reicht nicht, nur das budgetierte Defizit dem effektiven Defizit gegenüberzustellen. Wir hatten regelmässig höhere Ausgaben als budgetiert, vor allem in den Aufgaben­bereichen Gesundheit und soziale Wohlfahrt. Glücklicherweise hatten wir aber auch leicht höhere Einnahmen. Diese waren jedoch in den Jahren 2013, 2014 und 2015 zum grössten Teil auf einmalige Sondereffekte wie Gelder der Nationalbank, höhere Steuereinnahmen bei juristischen Personen und einen entsprechend höheren Anteil an Direkten Bundessteuern zurückzuführen. Ausserdem entsprechen diese Abweichungen nicht einmal einem Prozent des gesamten Staatshaushaltes. Gerade in finanziell angespannten Zeiten ist es meiner Ansicht nach sehr sinnvoll, eher konservativ zu budgetieren.'

Schaffhausen – kein Einzelfall
Schaffhausen ist in dieser Hinsicht allerdings kein Einzelfall. Zu diesem Schluss kommt die Analyse 'Fragwürdige Spar- und Steuerpolitik in den Kantonen' des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) von Daniel Lampart und Anna Tanner. Die Autoren halten fest: 'Die Kantone stehen (...) in Wirklichkeit finanziell besser da, als von den Kantonsregierungen dargestellt. Erstens sind die Finanzprognosen systematisch zu tief. In der Vergangenheit fielen die Rechnungen in der Regel besser aus als die Budgets. Zweitens werden die Staatsschulden überschätzt. Fast alle Kantone haben mehr Vermögen als Schulden, das heisst, sie haben netto gar keine Schulden, sondern sind nettovermögend.'

Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel kann auch diesem Argument nicht viel abgewinnen: 'Wir haben zwar ein ­Eigenkapital von 123 Millionen Franken. Aber das sind keine flüssigen Mittel, mit denen wir unsere Investitionen finanzieren können. In den letzten Jahren mussten wir Schulden anhäufen, um die laufenden Investitionen zu decken.' Und sie warnt weiterhin: 'Es ist sehr wichtig, dass die Stimmberechtigten im Juli den Entlastungsmassnahmen zustimmen. Sonst sieht es düster aus. Ein Staat muss seine Investitionen selbst finanzieren können.'

Ursache der Finanzmisere
Differenzen zwischen den Ansichten des Regierungsrates und der Autoren der SGB-Studie gibt es auch hinsichtlich der Ursachen der Finanzlöcher. Rosmarie Widmer Gysel sieht die stetig steigenden Kosten für Bildung, Gesundheit und soziale Wohlfahrt als Grund für das Defizit – zusammen machten die drei Bereiche im letzten Jahr 82,7 Prozent der Nettoausgaben des Kantons aus. Die Analyse des SGB kommt jedoch zu einem anderen Schluss: 'Kantone mit einem nennenswerten Defizit (AR, BL, OW, SZ, NW, TI, SO, SH, TG, ZG, SG) haben alle in der jüngeren Vergangenheit ihre Steuern für Unternehmen und Gutverdienende gesenkt. (...) Die aus der erfolglosen Tiefsteuerpolitik resultierenden Einnahmenausfälle führen zu aus ökonomischer Sicht unnötigen oder zumindest übertriebenen Sparmassnahmen.'

Auch der Schaffhauser Regierungsrat hatte bereits 2014 erkannt, dass der Kanton schwarze Zahlen nicht alleine mit Einsparungen erreichen wird. Er wollte darum schon Ende 2014 eine Steuererhöhung. Inzwischen ist diese Steuererhöhung Tatsache, doch auch das ist falsch, sagen die Autoren der SGB-Analyse. Anstatt die Steuern für alle zu erhöhen sollten die Kantone die früher beschlossenen Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche rückgängig machen.

Wieder widerspricht die Finanzdirektorin. Sie ist überzeugt, die Steuererleichterungen für Unternehmen hätten sich ausgezahlt: 'Dabei ging es darum, Unternehmen und Arbeitsplätze in unseren Kanton zu holen und hier zu halten. Insgesamt – und das ist doch entscheidend – stiegen die Kantonssteuereinnahmen zwischen 2001 und 2015 um 52 Millionen Franken.'

Bericht AZ