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Küsschen hier, Küsschen dort - und winken wie die Teletubbies

Prominente aus Politik, Wirtschaft und der Unterhaltungsbranche geniessen das Bad in der Menge am Sechseläutenumzug

Neue Zürcher Zeitung, 21.04.2009 von urs.

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Die Liste der Ehrengäste gehört zum Sechseläuten wie die Pfeife zum Böögg. Auch am gestrigen Umzug haben Dutzende Prominente teilgenommen - mit mehr oder minder sichtbarem Vergnügen.

Wer adelt hier eigentlich wen - das Sechseläuten die Ehrengäste oder umgekehrt? Die Antwort liegt wohl gutschweizerisch in der Mitte: Beide Seiten werten einander ein bisschen auf, und das Publikum am Strassenrand erspäht gerne staatstragende Köpfe und sonstige bekannte Gesichter. Es muss ja keine Cervelat-Prominenz sein. Die offizielle Liste umfasst dieses Jahr gut hundert Namen, vor allem von Politikerinnen und Politikern jeglicher Couleur sowie von Herren mit hoher militärischer oder wirtschaftlicher Befehlsgewalt. Die meisten marschieren in festlicher Zivilkleidung, manche tragen Accessoires der jeweiligen Zunft, etwa einen Umhang oder einen Hut.

Ein vergnügter Bundesrat mit Hütchen

Die Spitze der Fraumünster-Zunft, die auch diesmal als Vorhut zugelassen ist, bildet ein berittenes weisses Pferd; aber der Amtsschimmel ist es nicht. Kurz dahinter folgen die Stadtratsmitglieder Ruth Genner und Gerold Lauber. Beide tragen, zumindest beim Passieren unseres Standorts am Limmatquai direkt unter dem Grossmünster, ein etwas verkrampftes Lächeln im Gesicht. Deutlich lockerer wirkt in der wenig später vorbeiziehenden Zunft Wiedikon ein Gast mit wandelnden Kleiderschränken im Gefolge: Bundespräsident Hans-Rudolf Merz` Augen blinzeln vergnügt unter einem blauen Hütchen hervor, er winkt dezent in die Menge und quittiert den Erhalt eines Blumenstrausses mit zwei Küsschen auf die Wange der Donatorin. Szenen dieser Art bietet der Umzug fast pausenlos: Das Volk will seine Magistraten und andere Persönlichkeiten küssen, herzen, festhalten, und manchmal mag es nicht verstehen, dass die wichtigen Leute vorwärtsmachen müssen, am Sechseläuten wie im richtigen Leben.


Ebenfalls bei den Wiedikern läuft SVP-Präsident Toni Brunner mit, beladen mit einem Berg von Blumen. Er lacht unentwegt, aber für einmal unhörbar und nimmt strahlend einen Zuruf entgegen, den ein Bub von den Schultern des Vaters herabwirft: «Hopp, Toni!» Aber bitte, das ist doch kein Velorennen. Ähnlich wohlgelaunt präsentiert sich Parteikollege Christoph Blocher in der Gesellschaft zur Constaffel: Der Alt-Bundesrat geht durch ein Spalier von «Bravo!»- und vereinzelten «Buh!»-Rufen und winkt so unermüdlich wie ein Teletubby. Nebst ihm haben die Constaffel-Herren unter anderem Grossmünsterpfarrerin Käthi La Roche in ihre Reihen gebeten, und sie dankt es als leuchtendes Beispiel: In gelbgrünem Deux-Pièces und ebensolchen Strümpfen sorgt sie für einen der auffälligsten Farbtupfer im Umzug.


Als um politische Korrektheit bemühter Berichterstatter sollte man Frauen nicht auf ihre Garderobe reduzieren; aber diese gibt halt journalistisch einfach mehr her als das grau-schwarze Einerlei der männlichen Gäste. Diese bringen höchstens durch rot angelaufene Köpfe etwas Buntheit ins Spiel. Regierungsrat Markus Kägi zum Beispiel scheint im Tross der Zunft Riesbach nach keiner Stunde Marschzeit zu leiden, wischt sich die Stirn mit dem Taschentuch ab. Ein ebenfalls eher angestrengtes Gesicht macht der Schauspieler Beat Schlatter im Schlepptau der Zunft zu den Drei Königen; doch vielleicht möchte er im Volk einfach das Bewusstsein dafür schärfen, dass Komiker nicht ständig lustig sein und schon gar nicht mit konstant heiterer Miene herumspazieren müssen. «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel reiht sich in der Zunft zum Kämbel hinter Kamelen und zwischen arabischen Gewändern ein, und sein knabenhaftes Gesicht will gleich von drei Frauenmündern geküsst werden - dabei ist er doch frisch verheiratet. Er lässt es, mit Sträussen betäubt und betört, schmunzelnd geschehen.

Eine berühmte Frisur im Versteck

Die hohen Regierungsmitglieder des Gastkantons Schaffhausen, unter ihnen Regierungspräsidentin Rosmarie Widmer Gysel bei der Zunft zur Waag, können weitgehend unerkannt durch die Menge ziehen. Eher spärlich vertreten ist diesmal die Wirtschaft. Aus der Bankenbranche ist einzig der designierte Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse angekündigt, bei den Schiffleuten; aber wir können ihn nicht erspähen, und wir wollen hier nur Namen niederschreiben, deren Träger wir mit eigenen Augen ausgemacht haben. Zu diesen gehört Gilbert Gress, auch wenn wir ihn fast übersehen hätten: Der als Fernseh-Co-Kommentator populär gewordene Fussballtrainer versteckt seine legendäre Frisur unter einem breitkrempigen Hut. Doch ein Teil der weissen Haarpracht quillt darunter hervor, und sie gehört garantiert nicht zur Verkleidung, wie mancher meinen könnte. Zudem verrät ihn die kolossale Brille, und die Menge umjubelt ihn inmitten der Zunft Oberstrass wie kaum einen anderen Teilnehmer des Umzugs.


Der eigentliche Stargast aber harrt derweil, ganz in Weiss, auf dem Sechseläutenplatz seines Schicksals. Das Volk wird seinen Kopf fordern.

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