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Im Interview: Regierungsratspräsidentin Rosmarie Widmer Gysel
Schaffhauser Landzeitung, 02.08.2013 von Interview: Lukas Schweizer
Zum zweiten Mal präsidiert die Wilchingerin Rosmarie Widmer Gysel den Schaffhauser Regierungsrat. Im Interview erzählt sie von ihrer Berufslehre und der Landsgemeinde in Appenzell. Und sie sagt, woraus sie Kraft für ihren Berufsalltag schöpft.
«Schaffhauser Landzeitung»: Rosmarie Widmer Gysel, ich habe, als Sie zur Regierungspräsidentin gewählt wurden, in dieser Zeitung behauptet, dass eigentlich ihr Parteikollege Ernst Landolt an der Reihe gewesen wäre, Sie ihm aber vorgezogen wurden, weil dieser für das Präsidentenamt noch zu wenig lange in der Regierung sei. Das stimmt aber nicht.
Rosmarie Widmer Gysel: Nein, das stimmt nicht, da wurden Sie falsch informiert. Es geht im Regierungsrat immer der Reihe nach. Das heisst auch, wenn jemand aus der Regierung zurücktritt oder nicht wiedergewählt wird, rücken alle Regierungsräte hinter dieser Person um einen Platz vor; Neugewählte müssen sich hinten anstellen. Ich war 2009 Regierungspräsidentin, da aber seither Heinz Albicker und Erhard Meister zurückgetreten sind, bin ich jetzt bereits wieder dran.
Also, sie sind ganz legal Präsidentin. Gewählt wurden Sie mit 55 von 53 Stimmen. Aus Ihrer Partei, war zu hören, dass die SVP offenbar nicht mehr mit jeder linken Stimme rechnen kann.
Das glaube ich überhaupt nicht. Es wurde ganz selten jemand mit einem so guten Resultat ins Regierungspräsidium gewählt. Es war perfekt; ich habe mich riesig gefreut.
Sie werden es streng haben in diesem Jahr – noch strenger als sonst schon.
Ja, ich habe deswegen auch ein wenig zwei Seelen in meiner Brust: Auf der einen Seite weiss ich, dass die Belastung in diesem Jahr grösser – noch grösser – ist. Und auf der anderen Seite weiss ich, dass ich viele schöne und besondere Momente erleben darf, wenn ich den Kanton Schaffhausen repräsentiere. Die sind ja sonst nicht an der Tagesordnung.
Also freuen Sie sich auf das Präsidialjahr?
Ja, ich freue mich darauf. Ich weiss aber genau, dass es am Ende des Jahres so sein wird, wie beim letzten Mal: Ich werde ob der Zusatzbelastung froh sein, wenn ich das Amt wieder abgeben darf. Ich finde es im Übrigen auch gut, dass alle Jahre jemand anderes an der Reihe ist.
Sie sind ja eine Frau auf Zack, voller Energie und vorwärts gehend. Woher holen Sie die Kraft, um alles zu bewerkstelligen, was Sie müssen?
Für mich ist entscheidend, dass ich genügend schlafe – mindestens sieben Stunden pro Nacht. Ich muss auch an der frischen Luft sein können. Sehr gut erhole ich mich darum auch in unserem Garten oder in unserem Rebberg.
Ihre Vorgängerin Ursula Hafner-Wipf durfte in ihrem Präsidialjahr den fast vollständigen Bundesrat in Schaffhausen willkommen heissen. Wissen Sie schon auf was Sie sich freuen dürfen?
Ja, da gibt es diverse Ereignisse. Ich habe zum Beispiel wieder eine Einladung ans Sechseläuten in Zürich bekommen. Und dann darf ich den Kanton Schaffhausen an der Landsgemeinde in Appenzell vertreten...
... das tönt spannend.
Ja, sehr. Die beiden Appenzell feiern ihr 500-jähriges Bestehen und haben viele Festivitäten das ganze Jahr hindurch. Unter anderem haben sie Vertreter der 13 alten Orte* der Schweiz an die Landsgemeinde eingeladen. Für mich ist das toll, weil ich mir schon lange wünschte, an einer Landsgemeinde teilzunehmen. Etwas weiteres Spezielles wird sicherlich die Wahlfeier für Hannes Germann sein. Mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit wird er ja Ende Jahr zum Ständeratspräsidenten gewählt. Dass diese Ehre Schaffhausen zukommt, geschieht ja auch nicht alle Jahre.
Sie haben vorhin Ihren Garten angesprochen. Bei den Recherchen für dieses Interview bin ich auf etwas gestossen, das mich im positiven Sinne erstaunt hat: Sie haben Gärtnerin gelernt. Wie kam es dazu?
Nun, eigentlich wollte ich Physiotherapeutin werden, das hat dann – es war in den 70er Jahren – nicht funktioniert, weil plötzlich nur noch Maturandinnen zu dieser Ausbildung zugelassen wurden. Ja, und dann hat mein Vater gesagt: «So, jetzt machst Du eine andere Lehre.» (Schmunzelt) Und ich hab mich, eigentlich recht spontan, dazu entschlossen, Gärtnerin zu werden. – Zum hellen Entsetzen meines Vaters.
Was ist aus dieser Zeit geblieben, das Ihnen in der Politik hilft?
Gärtnerin ist ein strenger Beruf, ich musste Töpfe umhertragen und dem Boden nach kriechend arbeiten. Ich musste exakt arbeiten, damit die Pflänzchen gediehen. Und ein Stück weit hat man als Gärtnerin nicht alles in den eigenen Händen, es braucht immer noch die Natur dazu. Es war gut, diese Erfahrungen zu machen.
Als Gärtnerin war es die Natur, die beeinflusste, die Arbeit der Regierung wird durch das Parlament beeinflusst. Beim Entlastungsprogramm ESH3 wurde etwa das Streichen einer Schullektion pro Woche vom Kantonsrat nicht toleriert. Am 18. Februar steht ESH3 wieder zur Debatte; auch ein Rückweisungsantrag liegt vor, der dann behandelt werden soll. Wenn Sie einen Blick in die Kristallkugel wagen. Wie geht die Debatte aus?
Jetzt wird ja die eigentliche Vorlage der Regierung diskutiert werden. Die erste Diskussion zu ESH3 fand ja im Rahmen der Budgetdebatte statt. Die vorberatende Kommission hat zwar an unserer Vorlage nicht viel geändert, im Kantonsrat wird es aber sicherlich nochmals zu grossen Diskussionen kommen. Das ist ganz klar. Natürlich ist es, wie Sie sagen, die Regierung hat nicht alles in den Händen. Aber ich bin zuversichtlich – und auch sehr gespannt. Ich gehe übrigens davon aus, dass über den einen oder anderen Punkt des Entlastungsprogramms das Volk entscheiden muss, weil im Kantonsrat bei der Abstimmung keine Vier-Fünftel-Mehrheit zu Stande kommt.
Das ist auch Politik.
Natürlich. Sehen Sie, wir stimmen am 3. März über die Initiative «Steuern runter» ab, die Regierung ist mit dem Begehren der Jungfreisinnigen nicht einverstanden. Im letzten Herbst hatten wir die Abstimmung über die Krankenkassenprämien. Auch bei dieser Vorlage war der Regierungsrat anderer Meinung als das Volk. Ich glaube wichtig ist letzten Endes jeweils, dass wir aufzeichnen, was die Folgen sind, wenn der Souverän das letzte Wort hat. Auch bei ESH3.
Haben Sie denn auch Verständnis für die Kritik an ESH3 oder sehen Sie nur die Notwendigkeit des Rotstiftansetzens?
Natürlich habe ich für die Kritik Verständnis, es ist ja nur normal, dass man den andern zuhört. Aber das heisst nicht, dass ich deswegen umschwenke. Denn es müssen sich auch alle bewusst sein, die Regierung und das Parlament sind in der Pflicht, den Staatshaushalt mittelfristig ins Lot zu bringen.
Also keine Probleme mit der Kritik?
Nun, mich stört es, wenn eine Sache grundsätzlich kritisiert wird, die Kritiker aber überhaupt keine Lösungen und keine Ideen präsentieren. Wenn man bei ihnen nachfragt, bleibt es oft sehr still. Das macht unsere Arbeit nicht immer einfach.
Lassen die Bürger oder Organisationen ihren Ärger eigentlich auch schon mal an Ihnen persönlich aus?
Ja, das ist schon vorgekommen, auch schon auf rabiate Weise. Aber gewisse Dinge muss man mit Humor nehmen und denken: Dann stecken Sie halt den Stecken dazu und schreiben meinen Namen bei der nächsten Wahl nicht mehr auf den Wahlzettel.
Und das Umgekehrte, dass man sich bei Ihnen für etwas persönlich bedankt. Gibt es das auch?
Ja, auch das kommt vor. Gerade kürzlich ist eine Frau in der Schaffhauser Altstadt auf mich zugekommen und hat mir gesagt, sie habe immer Freude, wenn sie mich im Fernsehen sehe oder in der Zeitung von mir lese. Ich mache meine Aufgabe gut und ich solle so weiterfahren.
Kommen wir auf den Klettgau zu sprechen. Sie sind durch und durch Klettgauerin. Gibt es dort Orte, wo Sie sich besonders gerne aufhalten?
Der Rossberg, die Ruine Radegg, es gibt viele schöne Plätze im Klettgau. Aber für mich ist der wichtigste Ort unser Haus und unser Garten, wo sich das Innerste meines Lebens abspielt. Der zweite Ort mit dieser Bedeutung ist unser Rebberg in Hallau.
Und was beschäftigt Sie, wenn Sie die Entwicklung des Klettgaus betrachten?
Wir müssen dieser, noch intakten, Landschaft Sorge tragen. Die Klettgauer Dörfermüssen aber auch belebt bleiben; sie sollen genutzt werden und dürfen nicht zu Schlafgemeinden verkommen. Es ist wichtig, dass wir nicht einfach stehen bleiben. Ich glaube darum, dass die Bestrebungen, die im Gange sind, wichtig sind; der Naturschutz, die Frage der Bauzonen. Letztere hat ja für den Klettgau eine sehr wichtige Bedeutung, denn das Tal mit der Ackerlandwirtschaft und die Reben sind auch Markenzeichen des Kantons Schaffhausen. Damit muss bewusst umgegangen werden.
* Die 13 alten Orte sind jene Stände die von 1513 (Beitritt von Appenzell) bis 1798 (Beginn der Helvetik) die alte Eidgenossenschaft ausgemacht haben. Der Kanton Schaffhausen ist dem Bund 1501 beigetreten.