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Eine umstrittene Grenze
Schaffhauser Nachrichten, 02.02.2008 von Erwin Künzi
Der Kantonsrat hat an seiner letzten Sitzung ausführlich darüber debattiert, und das Schaffhauser Obergericht hat sich in einer Urteilsbegründung eingehend damit befasst: Die Rede ist vom Schwimmunterricht in der Schule, den Knaben und Mädchen gemeinsam besuchen, und einem Dispensations- gesuch eines muslimischen Vaters. Er wollte seine beiden Söhne von diesem Unterricht befreien lassen mit der Begründung, der Koran verbiete gemischtgeschlechtliches Schwimmen vom Eintritt der Pubertät an für Knaben wie auch für Mädchen. Dieses Dispensationsgesuch wurde vom Stadtschulrat nicht bewilligt, ein Entscheid, der vom Erziehungsrat gestützt wurde. Ein alltäglicher Vorgang innerhalb der Schule also, eine Bagatelle, die ein grösseres öffentliches Interesse nicht verdient? Das Gegenteil ist richtig, denn hinter dem scheinbar harmlosen Gesuch um eine Dispensation vom Schwimmunterricht verbirgt sich ein brisantes Konfliktfeld in der Dauerauseinandersetzung zwischen dem Staat auf der einen und der Religion auf der anderen Seite.
Der Staat besitzt in unserem Land die Gesetzesgewalt
In der Schweiz garantiert zwar die Bundesverfassung die Glaubensfreiheit, der Staat besitzt aber die Gesetzesgewalt, das heisst, er gibt die Regeln des gesellschaftlichen Lebens vor. Das war nicht immer so, und heute noch gibt es Staaten auf dieser Welt, in denen eine Religion und ihre Diener die Regeln festlegen. An erster Stelle dieser Religionen ist der Islam zu nennen, der den Anspruch stellt, das gesamte Leben zu bestimmen. Er steht aber damit nicht allein (siehe unten).
In den letzten Jahren ist nun das Phänomen zu beobachten, dass Anhänger dieser Religionen, die in laizistischen Staaten leben, versuchen, trotzdem nach ihren von der Religion vor-gegebenen Regeln zu leben, und zwar nicht nur innerhalb der Glaubens- freiheit, sondern auch wenn diese Regeln denjenigen ihres Wohnstaates widersprechen. Da will man dann zum Beispiel seine Kinder nicht in den gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht schicken, auch wenn das die Schulpflicht zwingend vorschreibt.
Auch die katholische Kirche versucht, ihre Regeln durchzusetzen
Vor allem fundamentalistische Anhänger ihrer jeweiligen Religionen verhalten sich so. (Es sei aber an dieser Stelle angemerkt, dass sich der grösste Teil der hier lebenden Muslime an die in unserer Schule geltenden Regeln hält.) Aber nicht nur fundamentalistische Muslims versuchen die Grenzen auszureizen. Auch die katholische Kirche arbeitet daran, in der Schweiz ihre Deutungshoheit gegenüber dem Staat auszubauen, wie zwei aktuelle Fälle aus letzter Zeit zeigen. Da wäre zum einen der Fall des Priesters Franz Sabo aus Röschenz, der in Konflikt mit den Kirchenoberen geriet und deshalb vom Bischof und später vom Landes-kirchenrat seines Amtes enthoben wurde. Dabei kümmerte sich Bischof Kurt Koch nicht um die rechtlichen Vorgaben, die bei einer Entlassung - Sabo befand sich in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis - eingehalten werden müssen. Das Kantons-gericht Baselland hat dann, sehr zum Missfallen des Bischofs, für klare Verhältnisse gesorgt.
Der zweite Fall betrifft pädophile Priester, die in diesen Tagen für Schlagzeilen sorgen. Jahrelang befand es die katholische Kirche nicht für nötig, diese Verbrecher bei den staatlichen Strafverfolgungsbehörden anzuzeigen, sondern war der Meinung, mit einer internen Versetzung sei es getan. Diese Haltung begann sich in den letzten Tagen erst unter dem wachsenden Druck der Öffentlichkeit zu ändern.
Bundesgericht muss Urteil zum Schwimmunterricht überprüfen
Immer wieder müssen die Gerichte den Grenzverlauf zwischen Staat und Religion neu bestimmen. Aus diesem Grund ist es zu begrüssen, dass Rechtsanwalt Gerold Meier den Fall des Schaffhauser Dispensationsgesuchs vor das Bundesgericht bringt. Dieses erhält damit die Gelegenheit, seine Haltung zu überprüfen und ein Urteil, das es vor rund 15 Jahren in einem ähnlichen Fall ausgesprochen hat, zu revidieren. In der Zwischenzeit hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass in der Schule die Geschlechtergleichstellung und die gesellschaftliche Ausländerintegration einen höheren Stellenwert haben als die Erfüllung radikal-islamistischer Forderungen.
Immer wieder müssen die Gerichte den Grenzverlauf zwischen Staat und Religion neu bestimmen.