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Eine Klasse, zwei Lehrer, 19 Unterschiede

Schaffhauser Nachrichten, 25.01.2007 von Julia Guran

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Integrativer Unterricht liegt im Trend und wird im Kanton vielleicht bald Pflicht. Mancherorts ist er schon Alltag geworden. Ein Augenschein in einer Steiner Schulklasse.

Schulhaus Schanz, 11 Uhr vormittags. Unter den Dachbalken liegt das Klassenzimmer der vierten bis sechsten Klasse von Theres Uehlinger. Bücherwände teilen das Zimmer in Ecken und Winkel auf.

Die Kinder sitzen je zu zweit in ihren Schulbänken. Auf jedem Pult klebt ein Zettel mit Zielen: «Ich schreibe immer Schnürlischrift» oder «Mein Instrument besser üben». An der Wandtafel steht in Schnürlischrift: «A liest, B hört zu. B liest, A hört zu.» Auf der Tafel daneben ist mit gelber und roter Kreide der Stundenplan aufgezeichnet, die Wochentage auf Französisch. Die Kinder haben eine Geschichte geschrieben, deren Beginn und Schluss vorgegeben waren. Was dazwischen geschieht, konnten sie erfinden. Hauptperson ist eine Prinzessin. Sie lesen einander vor, der Zuhörer muss Fragen stellen und sagen, ob man den Text versteht. Oder ob die Rechtschreibung stimmt, und darauf achten, dass die Sätze nicht immer gleich anfangen. «Du, meinst du, das ist schön genug?», fragt ein Junge mit schwarzen Locken seinen Banknachbarn und zeigt ihm seinen Text, den er mit Füller ins Reine geschrieben hat. «Frau Uehlinger, können Sie mal kommen?», fragt ein blondes Mädchen mit Sommersprossen. In seiner Version wird die Prinzessin entführt, heiratet aber am Ende ihren Entführer. Immer wieder muss die Lehrerin, die zwischen den Bänken hin und her geht, Fragen beantworten.
Ein Mädchen aus der fünften Klasse ist schon fertig und widmet sich seinen Aufgaben im Dividieren. Das hat es mit der Lehrerin so abgemacht.

Wörter mit -ung schreibt man gross

An einem Pult sitzt ein Mädchen mit langen, dunklen Haaren. Seine Muttersprache ist nicht Deutsch. Es übt mit der Heilpädagogin Ruth Bistolas Gross- und Kleinschreibung und Wortfamilien: hoffen, Hoffnung, meinen, Meinung, schreibt sie auf Merkkarten. «Und was hast du heute gelernt?», fragt Bistolas. «Bei -ung schreibt man das Wort gross», sagt das Mädchen. Uehlinger gibt ein Zeichen. «Ihr legt eure Sprachsachen zur Seite», sagt sie. «Die Sechstklässler nehmen ihr Geometriematerial mit ins andere Zimmer.» Dort werden sie mit der Heilpädagogin weiterarbeiten, die Viert- und Fünftklässler bekommen von der Klassenlehrerin eine Aufgabe.

Probiers mal mit Gemütlichkeit

Dann ist Pause. In der Ecke beim Fenster - an einer Bücherwand hängen eine illustrierte Weltkarte und das Bild einer Stadt im Mittelalter - drängen sich einige Schüler auf einem Bänklein. «Probiers maaal, mit Ge-he-müüt-lichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit», singen sie. Mehr Kinder kommen dazu: « ... und wirf die blöden Sorgen über Booord».
Im Klassenzimmer gegenüber haben die Sechstklässler ihre Quader ausgepackt und tragen sie auf einem gerasterten Papier ab. «Wir lassen die Sachen der anderen Schüler liegen, die gehen uns nichts an», sagt Ruth Bistolas. Sie geht von einem zum andern und beantwortet Fragen. «Aber da hab ich ja die anderen falsch», stellt eine Schülerin fest. Jemand summt «Probiers mal mit Gemütlichkeit».
Integrative Schulform Kinder mit unterschiedlichen Bedürfnissen in einer Klasse
In der separativen Schulform werden Kinder mit besonderen Bedürfnissen in Kleinklassen unterrichtet. Bei der integrativen Schulform (ISF) gehen Kinder, die sonst in Kleinklassen unterrichtet würden, in Regelklassen. Heilpädagoginnen unterstützen die Lehrperson und fördern die Kinder mit individuellen Aufgaben innerhalb des Klassenverbandes. Unterrichtet werden alle im Teamteaching oder in separaten Gruppen. Heilpädagogin und Lehrperson legen gemeinsam das Unterrichtsprogramm fest.

Diese Unterrichtsform ist Teil der Revision des Schulgesetzes und würde im ganzen Kanton eingeführt, falls sie angenommen wird. Zurzeit befasst sich eine Spezialkommission des Kantonsrats mit dem Schulgesetz. Sollte sich anschliessend bei der Beratung im Parlament weniger als eine 4/5-Mehrheit dafür aussprechen, entscheidet das Volk. Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel hofft, das neue Schulgesetz auf den Beginn des Schuljahres 2008/2009 in Kraft setzen zu können.
Einige Schulen im Kanton Schaffhausen haben schon mit dem integrativen Unterricht begonnen. In der Primarschule Schanz in Stein am Rhein läuft seit 1999 ein Pilotprojekt, das Mehrklassigkeit und ISF verbindet. Die 1. bis 3. und die 4. bis 6. Klasse werden gemeinsam unterrichtet. Dank diesem System können Kinder mit einem abweichenden Lerntempo in einer konstanten sozialen Lerngruppe bleiben.

Quelle