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Die Schule Buch rüstet sich zum Abschied

Schaffhauser Nachrichten, 06.07.2007 von Julia Guran

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Die Schule in Buch wird geschlossen. Das bedeutet neue Klassenkameraden für die Kinder. Für die ältere Generation ist es ein Stück Dorfleben mehr, das verschwindet.

Ruhig ist es hier in Buch. Sehr ruhig. Kein Mensch auf der Strasse. Kein Laden, keine Post, keine Beiz. Bloss das Schulhaus am Dorfausgang. Ein grosser Kastanienbaum steht davor, am Eingang blühen Rosenbüsche, und eine Inschrift mahnt «Gott allein die Ehre».

Zehn Schüler besuchen die Schule, je drei Dritt- und Viertklässler und vier Fünftklässler. Die anderen Primarschulklassen sind bereits nach Ramsen verlegt worden. Am siebten Juli ist auch für die verbleibenden Klassen Schluss; die Schule wird geschlossen.

Statt surfen den Biber besuchen

Der Grund: Komplexere Stundenpläne, eine veraltete Infrastruktur und: «Es hat zu wenig Kinder, um die Schule weiterführen zu können.» Daniel Klöti, der letzte und einzige Lehrer von Buch, muss Tag für Tag improvisieren: Weil die Ringe in der Turnhalle kaputt sind und zu wenig Matten da, geht er mit den Kindern joggen. Weil das Internet nur selten funktioniert, besucht er mit ihnen den Biberbau an der Biber. Weil für den Musikunterricht nur ein Xylophon und eine Rassel zur Verfügung stehen, singen sie halt viel.

Herr Klöti kann nicht überall sein

Auch an diesem Morgen ist Organisationstalent gefragt. Erste Lektion: Die Fünftklässler haben Französisch mit einer Praktikantin. Klöti muss den Unterricht beobachten und begleiten, gleichzeitig sollten die Dritt- und Viertklässler im oberen Stock selbständig ihre Rechenaufgaben lösen. Immer wieder klopft es an der Tür, Herr Klöti, ich bin fertig, Herr Klöti, darf ich auf die Rückseite vom Blatt schreiben?
Herr Klöti weist die Kinder an, Geduld zu haben, die Aufgabe nach Fehlern abzusuchen, denn er kann nicht überall sein. Dafür nimmt er sich Zeit für eine persönliche Betreuung, kauert auf Augenhöhe neben dem Pult und beantwortet Fragen. Sein Credo: «Ich will den Kindern helfen, dazu bin ich Lehrer.» Dafür müsse eine Klasse mal fünf Minuten warten, während er anderen eine Aufgabe gibt oder die Grösseren den Kleineren helfen.

Das ganze Dorf auf den Beinen

Die erste Schule in Buch wurde vor 400 Jahren gegründet, vor 152 Jahren wurde das Schulhaus eingeweiht. So viel Geschichte will Buch, trotz traurigem Anlass, nicht sang- und klanglos vorbeigehen lassen. Die Schulleitung organisiert ein grosses Schulendfest: Sämtliche Bucherinnen und Bucher auf der Welt wurden dazu eingeladen, das ganze Dorf ist auf den Beinen, der Gemeindepräsident hält eine Rede und die Regierungsrätin und Vorsteherin des Erziehungsdepartements Rosmarie Widmer Gysel, der Musikverein und die Alt-Aachtaler spielen, es gibt eine Festwirtschaft und eine Disco. Die Kinder führen ein Theaterstück auf, «Zeitreise ins Land der sieben Raben» der Bucher Theaterpädagogin Ingrid Wettstein.

Bohne in der Schwammbüchse

Im Schulhaus ist eine Ausstellung alter Klassenfotos und Schulmaterialien zu sehen, vom Jahr 1904 bis heute. Der Stubentisch von Marie Hug ist mit alten Fotos und Schulheften übersät. Stramm aufgereiht sitzen und stehen die Kinder in Reihen, die Mädchen mit langen Zöpfen, die Jungen in wollenen Westen und kurzen Hosen, der Lehrer im Anzug. Marie Hug und Ernst Feser, Jahrgang 1932 und 1926, sortieren seit Wochen Bildmaterial. Sie versuchen, die Leute auf den Fotos zu identifizieren.
Erinnerungen aus der eigenen Schulzeit kommen auf: Wie der Lehrer mit dem Finger prüfte, ob der Schwamm in der Schwammbüchse feucht genug war, wie die Schüler eine Bohne in der Büchse aufbewahrten, bis sie keimte, oder wie Hug ihren Griffel an der Sandsteintreppe spitzte. Feser weiss noch, wie die Klassen im Sandkasten die Tektonik des Kantons Schaffhausen nachbildeten und mit buntem Sand Wiesen, Wälder und Gewässer streuten. Dass der Lehrer Brütsch an der Wandtafel gut zeichnen konnte und der Lehrer Ingold, Artillerieoffizier, seinen Säbel aufs Pult legte und dass er jedem Kind eine Postkarte vom Klöntalersee schickte.
Am besten gefällt Marie Hug das Schulheft von Annelies Hug: «So schön geschrieben.» In fehlerloser Schnüerlischrift füllte Annelies Einzahlungsscheine aus, berichtete vom Ausflug an den Vierwaldstättersee und vom Zyklus des Regen- und Grundwassers, immer mit einer Zeichnung. Das Buch hat es 1939 sogar an die Landesausstellung geschafft, warum sollte es an der Schulausstellung nicht einen Ehrenplatz bekommen?

Pralinen aus dem Staatsarchiv

Um der Schule ein Denkmal zu setzen, hat die Schulleitung den Lokalhistoriker Hermann Tanner um Hilfe gebeten. Er wird am Fest seine Schulgeschichte vorstellen, die aktualisierte Version von 1965, die er zum 100-jährigen Bestehen des Schulhauses verfasste.
Im Staats-, Kirchen- und Gemeindearchiv habe er «Pralinen» gefunden: das Schulbuch des Lorenz Brütsch, der sich autodidaktisch zum Lehrer ausbildete, als Fünfzehnjähriger für den Lehrerposten bewarb und ihn nicht bekam. Besonders hervorzuheben: sein Rezept für Tinte aus Galläpfeln. Den Lehrer- posten bekam sein Kollege Johannes Ruh, - auch er nicht ganz perfekt: «er taugt noch nicht zum Vorsingen in der Kirche», heisst es im Inspektionsbericht von 1802. Zu der Zeit war es wichtig, dass die Lehrer den Katechismus hersagen konnten, Lesen und ein wenig Rechnen. In der Schulordnung von 1645 steht, der Lehrer habe den Schülern die Hand zu führen, damit sie die richtige Federhaltung lernten.
Eine Praline auch das Programm der Eröffnungsfeier des Schulhauses 1965, das ein Bäckermeister aus Dörflingen als Generalunternehmer gebaut hat. Die Schüler kriegten an der Feier einen halben Schoppen Wein, Wurst und Brot. Manchmal macht Tanner lange Pausen zwischen den Sätzen, schaut in die Weite, über den Rhein, an dessen Ufer sein Haus in Hemishofen steht. Er war selbst von 1964 bis 1997 Lehrer in Buch. Die Zeit, in der er allein im Schulhaus unterrichtete, hat er als die beste in Erinnerung, wegen der Freiheit. Bloss ein wenig mehr Austausch mit anderen Lehrern würde er heute suchen.
All das ist jetzt weit weg von ihm. Trotzdem ist er wehmütig gestimmt: «Es wurde noch nie so viel gebaut wie in den letzten 30 Jahren, und doch sinken die Schülerzahlen. Mit dem Schulhaus verschwindet auch ein Stück Dorfleben, es ist ein Schritt mehr zum Schlafdorf.»

Drei Wirtschaften und 45 Bauern

Marie Hug und Ernst Feser stehen auf der Dorfstrasse, neben der Linde. «Wir könnten zu jedem Haus eine Geschichte erzählen.» Es gab eine Brauerei, eine Ziegelei, die Wirtschaften Sonne, Linde und Grenzstein, einen Laden, eine Apotheke, eine Post, eine Milchhütte, Handwerksbetriebe und 1950 noch 45 Milchlieferanten.
Ernst Feser hat gelernt, dass die Demokratie ein Organismus aus Zellen sei, von denen die Familie und die Gemeinde die kleinsten darstellen. «Jetzt werden diese Zellen ausgedörrt», sagt er. «Ein Fremder, der nach dem Weg fragt, findet ja nicht einmal mehr jemanden, der ihm Auskunft gibt», sagt Marie Hug. Sie glaubt, dass sie den Kindern, die sie jetzt noch beim Nachhausegehen von der Schule sehen kann, nach der Schulschliessung nicht mehr begegnen wird.

«Alle sind recht nett»

Sindy Gugolz, Fünftklässlerin, wird nächstes Jahr einen weiteren Schulweg haben. Darauf hat sie nicht so Lust. Sie wird es vermissen, draussen zu sein und Fangis zu spielen: «In Ramsen ist dann streng Schule.» Aber dafür gebe es dort mehr Kinder. Die meisten neuen Klassenkameraden hat sie schon an der Veloprüfung kennen gelernt. «Alle sind recht nett.»
Daniel Klöti wird eine neue Stelle in Roggwil TG antreten, wieder eine Mehrklasse. Dort wird er genau nach Lehrplan unterrichten. Er ist mit seinen neuen Kollegen bereits daran, ihn auszuarbeiten. Bevor die Schule endet, werden die Bucher Schüler ins Klassenlager nach Sigriswil im Kanton Bern fahren. Als Indianer werden sie eine Woche lang auf einem Biobauernhof im Tipi leben.

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