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Die Abstimmung wird kein Spaziergang
Schaffhauser Nachrichten, 18.12.2008 von Erwin Künzi
Am 8. Februar 2009 stimmt das Schaffhauservolk über das neue Schulgesetz ab. Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel, Chefin des Erziehungsdepartements, nimmt zur Kritik an dem Gesetz Stellung.
Rosmarie Widmer Gysel, ein Komitee unter der Leitung des Wilchinger Gemeindepräsidenten Hans Rudolf Meier hat Opposition gegen das Schulgesetz angekündigt (siehe SN vom 3. Dezember). Sind Sie überrascht?
Rosmarie Widmer Gysel: Was mich überrascht hat, sind die Schärfe und der Zeitpunkt. Was wir wussten, ist, dass es wie bei jeder Vorlage, die man erarbeitet, und das insbesondere bei einem Schulgesetz, neben Befürwortung auch zu Opposition kommen wird: zum Beispiel von Rüdlingen-Buchberg, die, wie bereits in den kantonsrätlichen Beratungen kundgetan, mit der Finanzierung nicht einverstanden sind. Hans Rudolf Meier hat sich in den letzten drei Jahren nicht mit dem Schulgesetz befasst, als es erarbeitet wurde. Er hat seine Vorbehalte zum erstenmal angemeldet bei der Information der Gemeindepräsidenten im Klettgau, die Ende August stattfand. Wir präsentierten dort das Schulgesetz, wie es der Kantonsrat in zweiter Lesung beraten hatte. Dort schoss er vehement gegen die Zweckverbände. Dass die Opposition jetzt schon kommt, obwohl die Leute die Abstimmungsvorlage noch nicht in den Händen haben, wundert mich. Sie fangen früh an, aber das ist auch ihr Recht.
Bleiben wir bei den angesprochenen Zweckverbänden. Das Komitee kritisiert, dass sich wegen der Schülerpauschalen die Gemeinden mit ihren Schulen zu Zweckverbänden zusammenschliessen müssen. Werden da nicht via Hintertürchen Schulgesetz die Ostereier der Gemeindefusionen wieder ins Spiel gebracht?
Widmer Gysel: Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Das Verständnis, man müsse wegen der Schülerpauschalen Zweckverbände bilden, ist völlig falsch. Wir wollen professionell geleitete Schulen in unserem Kanton, die auf ein Gremium abgestützt sind. Wenn man das machen will, muss die Schule eine gewisse Grösse haben. Auf dem Land sind die einzelnen Schulen viel zu klein, um das umsetzen zu können. Das ist auch der Grund, warum sie sich zu Zweckverbänden zusammenschliessen sollen. Hier wurde ein Weg geschaffen, der die Zusammenarbeit erlaubt, ohne dass man fusionieren muss. Mit der Schülerpauschale hat das überhaupt nichts zu tun. Aber selbstverständlich haben die Zweckverbände, die geleiteten Schulen und die Finanzierung einen inneren Zusammenhang.
Aber es gibt noch weitere Kritik am Zweckverband: Starke Gemeinden, die gut selber eine Schule führen könnten, müssten sich der schwächeren Gemeinden via Zweckverband zwangsweise annehmen. Was sagen Sie dazu?
Widmer Gysel: Wenn man diese Auffassung hat, dann hätten Neuhausen, Thayngen - neu zusammen mit den Reiatgemeinden - und die Stadt Schaffhausen genügend Schüler, um geleitete Schulen nach diesem Modell einzuführen, und alle anderen wären zu klein. Für uns ist dieses Modell ein Stück weit ein Akt der Solidarität den anderen Gemeinden gegenüber. Und die grösseren Gemeinden erleiden mit diesem Modell keinen Nachteil. Zudem haben wir heute schon Orientierungsschulkreise. Stetten, Lohn und Büttenhardt zum Beispiel schicken ihre Schüler für die Sekundarstufe nach Schaffhausen. Aus diesem Grund ist es durchaus möglich, dass zum Beispiel Thayngen mit Dörflingen zusammengeht. Natürlich könnte Dörflingen auch mit Schaffhausen kooperieren, das ist ja nicht vorgeschrieben, sondern der Entscheid der einzelnen Gemeinden, wobei verschiedene Faktoren wie etwa die Verkehrswege eine Rolle spielen. Die Gemeinden sollen sich selber finden.
Buchberg-Rüdlingen wollen das jetzt aber ausgesprochen nicht. Was passiert mit diesen beiden Gemeinden?
Widmer Gysel: In der Vernehmlassungsvorlage gab es für diese beiden Gemeinden keine Ausnahme. Dagegen wehrten sich die beiden explizit. Von den Distanzen und den Verkehrswegen her wäre ein Zusammen- gehen mit dem Klettgau möglich oder mit Neuhausen. In einer ursprünglichen Karte mit möglichen Schulverbänden waren Rüdlingen-Buchberg beim Klettgau. Ich habe mir überlegt, dass die beiden eher Landgemeinden sind, Neuhausen aber eher eine städtische Agglomeration, so dass sie sich beim Klettgau wohler fühlen würden. Früher einmal gingen die Rüdlinger und die Buchberger in die Sekundarschule nach Wilchingen. Ein solches Zusammengehen wäre also nicht absolut neu, doch scheint das für Buchberg und Rüdlingen heute keine Lösung mehr zu sein. Darum ist nun im Schulgesetz eine Ausnahmeregelung vorgesehen: Buchberg und Rüdlingen können einen eigenen Schulverband bilden, wenn sie das wollen. Damit ist man Buchberg und Rüdlingen entgegengekommen.
Aber bezahlen müssten sie es selber, wenn sie eigenständig bleiben wollen?
Widmer Gysel: Bezahlen müssen sie das in dem Sinn selber, denn aufgrund der kleinen Klassengrössen mit den Schülerpauschalen erhalten sie insgesamt weniger als heute mit den 43 Prozent Subventionen an die Lehrergehälter. Zwar wurde im Kantonsrat beantragt, dass Rüdlingen-Buchberg mehr Geld erhalten sollen, aber eine klare Mehrheit war der Meinung, dass Rüdlingen-Buchberg nicht eine andere Schülerpauschale erhalten sollen als die anderen Gemeinden auch.
Weiter wird kritisiert, dass das neue Schulgesetz eine Entmachtung der Gemeinden, der Schulbehörden und des Kantonsrats in Sachen Schule bringe und alle wesentlichen Entscheide bei der Regierung bündle. Wollen Sie im Kanton Schaffhausen den Schulvogt einführen?
Widmer Gysel: Nein, ganz sicher nicht. Mit den geleiteten Schulen, den Schulverbänden und den Schülerpauschalen geben wir den Gemeinden Handlungsspielraum. Sie haben grössere Möglichkeiten, um selber zu entscheiden, was sie machen wollen in Bezug auf die Organisation des Schulwesens. Sie entscheiden über Schulstandorte, Klassengrössen - mit einer Maximalvorgabe selbstverständlich - und so weiter, was bisher jedesmal vom Kanton bewilligt werden musste. Zudem ist die finanzielle Planung mit den Schülerpauschalen viel sicherer; die Gemeinden wissen, was auf sie zukommt.
Und der Kantonsrat?
Widmer Gysel: Der wird sicher nicht entmachtet. Er hat nun sogar auch eine eigene ständige Bildungskommission eingesetzt, was ich begrüsse, denn so hat man immer die gleichen Leute, Spezialisten, die sich mit Bildungsvorlagen befassen. Zudem sind Neuerungen in der Schule, wie etwa das Frühenglisch, für das es mehr Lektionen und Weiterbildung für die Lehrkräfte braucht, jeweils im Budget enthalten. So findet sich etwa im Budget 2009 auch die Timeout-Klasse. Bei allem, was finanzielle Auswirkungen hat, entscheidet jeweils der Kantonsrat, ob er das will oder nicht. Man kann also sicher nicht sagen, dem Kantonsrat werde etwas weggenommen. Andrerseits haben wir den Bildungsrat, dieses Denkgremium, das den Erziehungsrat ablösen soll. Dieser Rat wird vom Kantonsrat gewählt, auf Antrag der Regierung. Dieses Gremium ist für uns sehr wichtig, da es mitdenken und die Verankerung gegen aussen, zur Wirtschaft, zur Bevölkerung und zu den Lehrpersonen, sicherstellen soll. Wie gesagt, bestellt der Kantonsrat dieses Gremium. Man kann also sicher nicht sagen, der Kantonsrat werde entmachtet.
Und was ist mit den Schulbehörden?
Widmer Gysel: Die wird es in dieser Form nicht mehr geben, denn man kann nicht einerseits sagen, man wolle eine geleitete Schule, verantwortlich für alle Belange der Schule, und andrerseits noch ein Gremium haben, das überall auch noch mitredet. Die Erfahrung aus anderen Kantonen mit geleiteten Schulen und Schulbehörden zeigt, dass so die Verantwortung und die Kompetenzen nicht sauber geklärt sind. Zudem beklagen sich Gemeinderäte oft, wie schwierig das Zusammenspiel mit den Schulbehörden sei: Diese würden etwas beschliessen, der Gemeinderat werde hernach vor vollendete Tatsachen gestellt, wolle aber nicht eingreifen. Da finde ich das System mit dem Schulrat, in dem die Schulreferenten der Gemeinden des Schulverbands drin sind, besser, denn dort sind die Aufgaben am richtigen Ort angesiedelt.
Widerstand kommt auch von den Lehrpersonen, die sich gegen die Abschaffung der Gemeindezulagen wehren. Findet da nicht tatsächlich ein Lohn-abbau statt?
Widmer Gysel: Nein, das kann man so sicher nicht sagen. Heute bekommen 70 bis 75 Prozent der Lehrpersonen Gemeindezulagen. Diese Zulagen waren schon vor rund 20 Jahren ein Thema. Sie wurden damals leider nicht ganz abgeschafft, aber immerhin auf 5 Prozent des Lohns begrenzt. Die Zulage wurde zu einer Zeit eingeführt, als die Lehrpersonen noch in der Gemeinde wohnen mussten, in der sie unterrichteten, und das Leben in gewissen Gemeinden teurer war als in anderen. Meiner Meinung nach müssen wir mit dem Schulgesetz diese Zulagen abschaffen, wenn wir wollen, dass sich die Gemeinden zu Schulverbänden zusammenschliessen. Es kann ja nicht sein, dass dann nur eine Gemeinde zahlt. Ein Beispiel: Im Klettgau ist heute Beringen die einzige Gemeinde, die eine Gemeindezulage zahlt, und das würde im Schulverband zu endlosen Diskussionen führen, ob jetzt die anderen Gemeinden auch zahlen sollten oder nicht. Mit dem Schulgesetz ist diese Diskussion vom Tisch, und zudem werden dann endlich auch alle Lehrpersonen lohnmässig gleich behandelt. Diejenigen Lehrerinnen und Lehrer, die heute Gemeindezulagen erhalten, bekommen sie weiterhin, eingebaut in den Lohn. Sie erleiden also keinen Verlust.
Die Lehrpersonen sprechen aber von einer Anwartschaft beim Lohn, die ihnen entgehen würde.
Widmer Gysel: Natürlich gibt es jetzt jene, die von Anwartschaft sprechen, davon, dass sie bis 60 rein theoretisch vielleicht 5 Prozent weniger Lohn erhalten würden. Ich habe damit Mühe: In der heutigen Zeit von Anwartschaft sprechen kann kein Mensch mehr, auch in der Verwaltung nicht. Lehrpersonen, bei denen der Lohn mit dem Einbau der Gemeindezulage über das Maximum des jeweiligen Lohnbandes zu liegen kommt, erhalten diesen Lohn in jedem Fall ausbezahlt, müssen aber so lange auf Lohnerhöhungen verzichten, bis ihr Lohn als Folge des Teuerungsausgleichs wieder innerhalb des Lohnbandes liegt - und zwar egal, wie lange das dauert. Ihnen wird also nichts weggenommen oder nach einer bestimmten Zeit abgezwackt. Dies im Gegensatz zur analogen Situation bei der Einführung des neuen Personalgesetzes, wo bei den Leuten, die über das Lohnband zu liegen kamen, der Lohn nach drei Jahren auf das Lohnmaximum reduziert wurde. Eine solche Reduktion gibt es für die Lehrpersonen nicht.
Viele Hunde sind des Hasen Tod, oder, anders gesagt, bei diesem Widerstand von verschiedenen Seiten ist die Annahme des Schulgesetzes in der Volksabstimmung gefährdet. Braucht es denn überhaupt ein neues Schulgesetz?
Widmer Gysel: Das jetzige Schulgesetz ist fast 30 Jahre alt. Seither hat sich viel getan. Um den gegenwärtigen und den künftigen Ansprüchen von Gesellschaft und Wirtschaft zu genügen, braucht die Schule von heute klare Führungsstrukturen, professionelle Leitungen, eine sinnvolle organisatorische Grösse, in der ein vollständiges Bildungsangebot in guter Qualität sichergestellt werden kann, zusätzliche Angebote wie bedarfsgerechte Tagesstrukturen und eine flächendeckende Umsetzung der integrativen Schulform. Das alles hat das neue Schulgesetz zu bieten.
Und wie wollen Sie das beim Volk durchbringen?
Widmer Gysel: Im Kantonsrat gab es eine Zweidrittelmehrheit für das Schulgesetz. Wir haben eine Spezialkommission von 15 Personen, die während zweier Jahre intensiv an diesem Gesetz gearbeitet haben, die sich mit der Materie auseinandergesetzt haben und die Hintergründe kennen. Am 8. Dezember wurde ein Pro-Komitee gegründet, und ich bin sicher, dass die Kantonsräte und die Behördenmitglieder, die von dem Gesetz überzeugt sind, hinstehen und für das Gesetz kämpfen werden. Es wird kein Spaziergang sein. Aber ich begrüsse es, dass es eine Volksabstimmung gibt, denn man hat in den letzten drei Jahren so viel über das Schulgesetz diskutiert. Wir hatten in dieser Zeit auch die Fremdsprachen-Initiative, die Diskussion über den HarmoS-Beitritt, ebenso die Abstimmung über die Bildungsverfassung. Das alles hängt zusammen, und unsere Bevölkerung ist sensibilisiert für Bildungsfragen. Deshalb finde ich es gut, dass man den Leuten vor dieser Abstimmung aufzeigen kann, wie das Schulgesetz definitiv aussehen wird. Ich hoffe, dass es die eine oder andere öffentliche Veranstaltung geben wird, bei der man wirklich informieren oder im Rahmen des Podiums mit den Gegnern diskutieren und die Hintergründe erklären kann.