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schaffhauser az, 02.07.2013 von Interview: Matthias Greuter
Der Kanton Schaffhausen schreibt rote Zahlen. Das ist der Grund für das einschneidende und unbeliebte Sparprogramm ESH3. Ausgerechnet jetzt kommt die Initiative 'Steuern runter' zur Abstimmung. Mit ihr fordern die Jungfreisinnigen, der Steuerfuss sei im Verlauf der nächsten fünf Jahre um zehn Prozentpunkte zu senken. Ohne an den Kernaufgaben des Staates und an der Solidarität mit Schwächeren zu rütteln, sei das ein Ding der Unmöglichkeit, sagt Finanzdirektorin Rosmarie Widmer Gysel.
az Rosmarie Widmer Gysel, Sie waren immer für tiefe Steuern, eigentlich müssten Sie sich über die Steuersenkungsinitiative der Jungfreisinnigen, die eine Reduktion des Steuerfusses um 10 Prozent fordert, freuen.
Rosmarie Widmer Gysel Nein, darüber kann man sich nicht freuen. Was mit der Initiative verlangt wird, ist zuviel und zum völlig falschen Zeitpunkt. Abgesehen davon entspricht diese 'Rasenmähermethode', die beim Steuerfuss ansetzt, auch nicht der Steuerstrategie des Kantons. Der Handlungsspielraum für gezielte Massnahmen geht verloren.
Hätten Sie sich hinter die Initiative stellen können, wenn sie weniger radikal wäre, also eine moderatere Senkung des Steuerfusses fordern würde?
Nein. Wir haben seit zwei Jahren Mühe mit den Kantonsfinanzen, weil Einnahmen in der Höhe von rund 40 Millionen Franken weggebrochen sind. Deshalb wollen wir ja mit dem Entlastungspaket ESH3 Einsparungen von 25 Millionen Franken erzielen. Zu diesem Zeitpunkt ist es schlicht nicht möglich, als Folge einer Steuerfusssenkung auf weitere 27 Millionen Franken Einnahmen zu verzichten.
Und was passiert, wenn die Stimmbevölkerung die Initiative annimmt?
Wenn die Initiative angenommen würde, müssten ganz einschneidende Leistungskürzungen vorgenommen werden. In welchen Bereichen dies der Fall sein könnte, ist noch völlig offen. Oder man müsste einen Teil der Lasten auf die Gemeinden abwälzen, aber das nützt natürlich niemandem etwas. Ausserdem hat der Staat Pflichten, Kernaufgaben, die er wahrnehmen muss und für die der grösste Teil der Ausgaben gebunden ist. 11'000 Kinder gehen gratis in die Schule, für 1'200 Studentinnen und Studenten zahlt der Kanton Studiengelder, es gibt rund 2'400 AHV- oder IV-Rentner und 850 Behinderte, die finanzielle staatliche Unterstützung brauchen. Und letztlich werden jährlich 9'000 Patienten in kantonalen Spitälern behandelt. All dies kostet sehr viel Geld. Wenn man in diesen Bereichen die Ausgaben senken müsste, hiesse dies den Eigennutz vor die Solidarität zu stellen!
Die Jungfreisinnigen argumentieren aber, dass man gar nicht sparen, sondern nur das Ausgabenwachstum bremsen müsste, um die Initiative zu finanzieren. Stimmt das?
Das ist eine etwas einseitige Sicht. Erstens müsste man dem Ausgabenwachstum das Einnahmenwachstum gegenüberstellen, das wir in den letzten Jahren auch hatten. Oder man müsste den bereinigten Aufwand – ohne durchlaufende Beträge wie Bundesbeiträge – anschauen und mit dem Wirtschaftswachstum vergleichen: Die Wirtschaft wuchs in den letzten Jahren schneller als diese bereinigten Ausgaben des Kantons. Deshalb ist es eine vermessene Aussage, man müsse nur die Ausgaben einfrieren.
Ein gängiges Argument für Steuersenkungen lautet: Unter dem Strich nimmt man mehr ein, weil neue Steuerzahler in den Kanton ziehen. Ist die Rechnung, dass mit tiefen Steuern mehr Geld in die Kasse gelangt, in den letzten Jahren aufgegangen?
Ja, absolut. Die Steuerstrategie, die der Kanton seit 2000/2001 verfolgt, ist ein Erfolg. Seit 2001 sind die Steuerzahler auf kantonaler Ebene mit über 75 Millionen Franken entlastet worden, während die Steuereinnahmen deutlich gestiegen sind. Das ist eine Folge davon, dass man schrittweise und ganz gezielt – und das ist der Unterschied zur Initiative – Anpassungen vorgenommen hat. Ich denke zum Beispiel an die juristischen Personen, für die wir die Steuern halbiert haben, aber auch an die erheblich entlasteten natürlichen Personen, insbesondere die Familien. Das Entscheidende ist aber, dass rund 3'000 Arbeitsplätze geschaffen werden konnten. Diese Strategie, gezielt Massnahmen zu ergreifen, wollen wir auch inskünftig fortführen – selbstverständlich unter dem Vorbehalt, dass die Finanzen wieder im Lot sind. Die ganze Schweiz steht ja vor einer grossen Herausforderung. Wenn im Zusammenhang mit der Steuerdiskussion mit der EU der Sonderstatus der gemischten Gesellschaften, den es in der Schweiz seit rund 50 Jahren gibt, abgeschafft wird, ist der Kanton Schaffhausen davon stark betroffen. Wir haben eine grosse Anzahl dieser gemischten Gesellschaften, und wenn diese wegziehen würden, würden Steuereinnahmen und vor allem Arbeitsplätze wegbrechen. Deshalb ist es wichtig, einen gewissen Handlungsspielraum zu erhalten.
Christian Mundt, Co-Präsident der Jungfreisinnigen, hat kürzlich die Regierung mit einem Kind verglichen, das alles Sackgeld, das es erhält, ausgibt. Der Staat werde deshalb nur effizienter, wenn man das 'Sackgeld' reduziere. Was sagen Sie dazu?
Als ich das las, musste ich laut lachen. Ich habe mich gefragt, ob diese Leute den ganzen Prozess überhaupt kennen. Der Regierungsrat unterbreitet dem Kantonsrat ja ein Budget, dem harte Diskussionen vorangehen und das letztlich vom Parlament verabschiedet wird. Es kann also keine Rede davon sein, dass einfach Sackgeld 'verputzt' werde, das sich die Regierung womöglich noch selber zuschanze. Diese Aussage ist einfach lächerlich. Das Erstellen des Budgets ist ein politischer Prozess, bei dem sich sowohl die Regierung als auch der Kantonsrat immer wieder die Frage stellen müssen, ob eine Ausgabe wirklich nötig und möglich ist.
Die gleichen Kräfte, die die Steuern senken wollen, schimpfen auch gegen die angeblich hohe Verschuldung des Kantons. Wie gravierend ist sie wirklich, was kostet sie uns an Zinsausgaben?
Auch diese Aussage trifft absolut nicht zu. Der Kanton Schaffhausen konnte seine Schulden zwischen 2001 und 2011 von knapp 315 Millionen Franken auf 73 Millionen Franken abbauen. Dem gegenüber steht ein Eigenkapital von über 100 Millionen Franken. Die Zinsen für unsere Schulden sind auf einem einmalig tiefen Niveau, im Moment kosten sie uns rund 2 Millionen Franken pro Jahr. Die Schulden werden aufgrund der grossen Infrastrukturprojekte in Zukunft wieder etwas steigen, aber längst nicht in dem Ausmass, wie es von den Initianten behauptet wird.
Der Kantonsrat beginnt bald mit der Beratung des grossen und unpopulären Sparpaketes, und die Annahme der Prämienverbilligungsinitiative löst hohe Kosten aus. Wie rot müssen die Zahlen sein, bis die Regierung über Steuererhöhungen nachdenkt?
Als Erstes ist ganz entscheidend, dass wir das Sparprogramm ESH3 ins Trockene bringen. Ich gehe davon aus, dass es unter Umständen die eine oder andere Volksabstimmung geben wird. Unser Ziel ist nach wie vor, mittelfristig wieder einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu erreichen. Das Ziel ist auch nach wie vor, dies ohne Steuererhöhungen zu schaffen. Aber letztlich ist dafür nötig, dass sowohl der Kantonsrat wie auch die Bevölkerung am gleichen Strick ziehen und die entsprechenden Entscheide fällen. Wenn aber in einer Volksabstimmung etwas Anderes herauskommt, dann müsste man sich tatsächlich die Frage nach einer Steuererhöhung stellen.