Accesskeys

Unternavigation

Kontakt

Haben Sie Fragen oder Anregungen? Kontaktieren Sie mich!

«Ich würde ein Nein sehr bedauern»

Interview in den Schaffhauser Nachrichten zur Abstimmung vom 21. Mai 2006

05.12.2006 von Rosmarie Widmer Gysel

Rosmarie Widmer Gysel, Schaffhauser Erziehungsdirektorin und SVP-Regierungsrätin, setzt sich vehement für die Bildungsartikel ein, über die am 21. Mai abgestimmt wird. Kürzlich für den Vorstand der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) nominiert, will sie den kleinen Kantonen eine Stimme verleihen.

Frau Regierungsrätin, Sie sind Erziehungsdirektorin. Wie stark beschäftigt Sie die Abstimmung vom 21. Mai?

Rosmarie Widmer Gysel: Stark. Dabei setze ich mich nicht nur im Departement mit der Thematik Bildungsverfassung auseinander, sondern ich war auch in die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) involviert, als es um deren Stellungnahme im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens ging.

Wie sehr setzen Sie sich im Abstimmungskampf ein, und wo haben Sie Ihre Schwerpunkte?

Widmer Gysel: Der Abstimmungskampf verläuft bisher ziemlich lau. Grossmehrheitlich spüre ich Zustimmung. Eine der Hauptfragen, die immer wieder auftauchen, lautet: Greift der Bund in die Hoheit der Kantone ein? Hier kann ich insofern Aufklärungsarbeit leisten, als die Bildungshoheit nach wie vor bei den Kantonen liegen wird und diese die Harmonisierung dort, wo es nötig ist, weiter vorantreiben. So sind die Erziehungsdirektoren dabei, die Bedingungen zum Konkordat über HarmoS (Harmonisierung der obligatorischen Schule) zu formulieren. HarmoS ist ein Projekt, das viel weiter geht als der teilweise umstrittene, die Volksschule betreffende, aber nur subsidiär wirkende Verfassungsartikel vom 21. Mai.

Haben Sie Unterstützung aus dem Regierungskollegium?

Widmer Gysel: Ja. Wir haben im Regierungsrat im Rahmen der Vernehmlassung über die Frage diskutiert. Und die Antwort fiel positiv aus. Ich habe also durchaus Unterstützung im Kollegium.

Gibt es auch Einwände?

Widmer Gysel: Natürlich, und die müssen behandelt werden, wie etwa die Frage, ob man zulassen will, dass der Bund im Volksschulbereich beim Nichtzu-Stande-Kommen einer einheitlichen Regelung unter den Kantonen in Kernfragen stärker in die Hoheit der Kantone eingreifen kann. Anderseits werden sich die Kantone, wenn Vorstösse aus dem eidgenössischen Parlament kommen, welche die Bundeskompetenzen überschreiten, Gehör verschaffen und vor allem geeignet reagieren können. Sie müssen sich dann zu einer einheitlichen Ansicht durchringen, wenn sie eine Einmischung des Bundes nicht tolerieren wollen.

Die Vorlage hat Schwächen, vor allem beim zeitlichen Ablauf, wann der Bund eingreifen kann, falls sich die Kantone nicht einigen. Wie sehen Sie das?

Widmer Gysel: Die einen legen das als Schwäche aus, die anderen als Stärke. In meinen Augen ist es richtig, wie es die Vorlage vorsieht. In erster Linie sollen sich die Kantone zu einer Zusammenarbeit finden. Und erst wenn das absolut unmöglich ist, kann der Bund koordinierende Massnahmen ergreifen. Aber auch dann können die Kantone, wie bereits gesagt, wieder ihre Vorstellungen einbringen und selbst aktiv werden. Wenn man sich dieses Szenario vorstellt, dann ist es tatsächlich ein langwieriges Vorgehen, bis der Bund den Kantonen eine Massnahme wirklich aufzwingen kann. Und in diesen Fällen wäre zudem jeweils immer noch ein Referendum gegen entsprechende Bundesgesetze möglich.

Aber eben. Ist diese Zeitspanne, bis endlich ein Entscheid vorliegt, nicht zu gross?

Widmer Gysel: Also wenn man sich vorstellt, dass nach unergiebigen Verhandlungen auf Stufe Kantone ein parlamentarischer Vorstoss eingereicht wird, in dessen Verlauf die Kantone wieder Stellung nehmen, ist das ein langwieriger Prozess. Doch wenn sich dann in dieser Zeit eine kantonale Lösung ergeben würde, ist absolut nicht gesagt, dass sich ein Bundesvorschlag doch noch durchsetzen würde.

Hier dürfte doch gerade die Fremdsprachenfrage eine wesentliche Rolle spielen. Was zuerst: Englisch oder Französisch? Sehen Sie, dass in nächster Zeit eine Lösung auftaucht?

Widmer Gysel: Auf Seiten der Kantone ist die Frage, welche Fremdsprache als erste in den Stundenplan Aufnahme findet, zentral aber im Grundsatz geregelt. Dazu hat die EDK ein Konzept verabschiedet, das regelt, welche der beiden Fremdsprachen als erste unterrichtet wird. Die Kantone haben ihm schon 2004 zugestimmt und damit das Konkordat HarmoS entlastet. Mittlerweile haben sich auch die Regionen geeinigt. Für die Regionalkonferenzen der Ost-, aber auch der Zentralschweiz heisst das, Englisch soll als erste und Französisch als zweite Fremdsprache unterrichtet werden. Die Kantone an der Sprachengrenze haben sich für Französisch als erste und Englisch als zweite Fremdsprache entschieden. Die EDK hat sich auf die entsprechende Einführung bis zum Jahr 2012 geeinigt. Hier ist die Harmonisierung bereits da. Wenn sich die Kantone nun an die Durchsetzung der so beschlossenen Sprachenstrategie machen und nicht plötzlich ausscheren, gibt es keinen Grund, warum der Bund eingreifen sollte.

Die Schule ist Sache der Kantone. Der Bildungsartikel würde dem Bund aber eine Handhabe zur Einmischung geben. Das ist für zahlreiche Föderalisten ein schwerer Brocken. Wie kann man ihn schmackhaft machen?

Widmer Gysel: Indem man ihnen aufzeigt, dass die Bildungshoheit für die Volksschulen nach wie vor bei den Kantonen liegt und diese ihre Kompetenzen auch entsprechend wahrnehmen. Der Verfassungsartikel streicht die Subsidiarität hervor. Es gibt nur gerade fünf Eckpunkte, wo die Einigkeit schweizweit verlangt wird: Schuleintrittsalter, Schulpflicht, Dauer und Ziele der Schulstufen und deren Übergänge sowie die gesamtschweizerische Anerkennung der Abschlüsse. Für Letztere gibt es aber bereits seit 1993 eine Vereinbarung. Erst wenn die Kantone hier keine Einigkeit erzielen, kann der Bund eingreifen. Ich glaube, es liegt im Interesse der Kantone, enger zusammenzuarbeiten. Denn die 26 Schulsysteme weisen grosse Unterschiede auch bei den Lehrmitteln und -plänen auf. Und blickt man Richtung Nordwestschweiz, gibt es sogar im Vergleich zu anderen Kantonen unterschiedliche Schulstufen. Hier sich zu einigen ist auch eine Frage der Qualität und der Sicherstellung gleicher Bildungschancen innerhalb der Schweiz, nicht zuletzt aber auch der Kosten.

Sie nennen die Finanzen. Wenn vom Bund mehr Geld kommt, muss es anderswo eingespart werden. Wo sehen Sie Möglichkeiten?

Widmer Gysel: Die Kosten der Volksschule und der Gymnasien tragen nach wie vor die Kantone allein. Anders verhält es sich im Berufsbildungsbereich und bei den Hochschulen. Insgesamt ist aber ein längerfristiges Umdenken, auch bezogen auf die Volksschulen, nötig. Studien zeigen, dass Mittel etwa für Betreuungsplätze helfen, Sozialausgaben in anderen Bereichen zu sparen; dass gut integrierte fremdsprachige oder aus bildungsfernen Familien stammende Kinder auch die Sprache besser beherrschen und grössere Lernerfolge aufweisen. Und dank ganztägiger Betreuung fallen anderswo und vor allem später soziale Kosten weg. Diese Fragen werden auch in Schaffhausen heiss diskutiert und einer Lösung zugeführt werden müssen.

Was werden Sie bei einem Ja an Hauptaufgaben zu lösen haben?

Widmer Gysel: Auf uns kommen bei einem Ja zur Bildungsverfassung keine neuen Aufgaben zu. Betrachtet man den Kanton Schaffhausen bezüglich der Volksschule, sind wir auf gutem Kurs. Deutlich profitieren würden wir durch die Schaffung eines einheitlichen deutschschweizerischen Lehrplanes und von einem einheitlichen Bildungsmonitoring. Solches selbst zu erarbeiten übersteigt die finanziellen Möglichkeiten unseres Kantons.

Sie erwähnten den lauen Abstimmungskampf. Es besteht die Gefahr der tiefen Stimmbeteiligung. Nun zeigen sich langsam Gegner, etwa Föderalisten, der Vorlage. Was würde ein Nein bedeuten?

Widmer Gysel: Ich würde ein Nein sehr bedauern. Im Bereich der Volksschulen würden wir weiter an HarmoS arbeiten. Aber bei den Fachhochschulen fehlten dann die gesetzlichen Grundlagen für eine weitere Partnerschaft zwischen Bund und Kantonen. Es darf zudem nicht vergessen werden, dass die Vorlage die Bildung erstmals in diesem Rahmen in der Verfassung verankert. Sie schafft auch die Grundlage einer verbesserten Durchlässigkeit innerhalb des gesamten Bildungssystems und garantiert diese zusammen mit der Qualität als wegleitende Ziele für die Steuerung des schweizerischen Bildungssystems. Die Art und Weise, wie die Vorlage erarbeitet wurde, schafft eine gute Voraussetzung für ein positives Abstimmungsergebnis. Die EDK steht im Übrigen auch voll dahinter. Und darum wäre es schade, wenn die totalen Föderalisten plötzlich Oberhand gewännen und die neue Bildungsverfassung aus rein föderalistischen Überlegungen wegen einer zudem nur subsidiär zur Anwendung kommenden Bestimmung abgelehnt würde.